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Archiv-Artikel

DAUMENKINO„Rückkehr ans Meer“

Auch er wird den Bauch der Schwangeren streicheln müssen. Kontaktaufnahme mit der Kraft des Kugelbauches, dem Leben an sich

Eine hochschwangere Frau geht am Meer spazieren. Sie ist ganz allein mit sich, der Sonne, den Wellen, dem Wind. Eine andere Strandgängerin spricht sie an: „Mademoiselle! Ich bewundere Sie! Sie sehen wunderschön aus!“ Dann beginnt die ältere Frau ein Gespräch über die schmerzvollen Freuden des Gebärens und geht vor dem Mutterbauch in die Knie. Anbetung der leidensbereiten Mutter. Die reagiert genervt: „Hauen Sie ab! Ich hab keine Lust auf all das.“

Mousse (Isabelle Carré) erwartet ein Kind, aber gewollt hat sie es nicht. Zu Beginn des Films spritzt sich der Vater des Kindes eine Überdosis gepanschtes Heroin. Er wird später in einer Art Fötus-Haltung zusammengekrümmt auf dem Parkettboden eines teuren und leeren Pariser Appartements gefunden. Die großbürgerliche Mutter des Toten verlangt von Mousse, dass sie das Kind abtreibt. Die stimmt zu, zieht sich dann aber in ein Haus am Meer zurück.

„Rückkehr ans Meer“ von François Ozon versammelt die typischen Elemente seiner Filme: eine Frau, das Meer, die Liebe, das Leben, den Tod. Bei Ozon, dem großen Sentimentalisten unter den französischen Filmemachern, geht es immer ums Ganze. In aller Gründlichkeit geht er die Lebenszyklen durch. In „Die Zeit, die bleibt“ stirbt ein Mann an Krebs. „Fünf mal zwei“ erzählt das Ende einer Beziehung in rückwärtslaufender Form. In „Ricky“ wachsen einem Kleinkind buchstäblich Flügel aus dem Rücken. Jetzt hat Ozon sich den Mysterien der Schwangerschaft zugewandt. Paul (Louis-Ronan Choisy), der Bruder des toten Kindsvaters, besucht Mousse in ihrer Zuflucht. Anfängliche Spannungen zwischen den beiden lösen sich auf, als Paul eine Affäre mit dem Mann beginnt, der für Mousse die täglichen Besorgungen unternimmt.

Zuerst zickt Mousse ein wenig, dann unternimmt man Ausflüge zu dritt, geht in die Disco oder liegt am Strand. Ab und zu singt Paul am Klavier. Mousse fragt hin: „Bist du hier, weil du schwul bist und keine Kinder haben wirst?“ Paul sagt nein, blickt dabei aber so verträumt drein, dass man nicht weiß, ob er überhaupt zugehört hat. Irgendwann wird auch er ihren Bauch streicheln müssen, anschließend kommt es zum Sex. Kontaktaufnahme mit der Kraft des Kugelbauches, dem Leben an sich.

Am Ende wird Paul die Vaterfunktion übernehmen. Man wird nicht so recht schlau aus Ozons Verklärung der Mütterlichkeit über Bande. Mousse selbst betrachtet sich nüchtern, alle anderen wirken wie verwandelt, wenn sie nur in ihre Nähe kommen. Aus dieser Differenz zieht der Film jedoch keinen Gewinn. DIETMAR KAMMERER

■ „Rückkehr ans Meer“. Regie: François Ozon. Mit Isabelle Carré, Louis-Ronan Choisy. F 09, 90 Min.