: „Punk kann sich bei Hartz bedanken“
In den 90er-Jahren hielten sie den nihilistischen Spott des Punk am Leben. Nun hat sich Die Terrorgruppe aufgelöst, um nicht selber noch zur Altlast zu werden: Ein Gespräch über engstirnige Puristen und die Hoffnung auf mehr rebellischen Nachwuchs
INTERVIEW THOMAS WINKLER
taz: Wie geht es Ihnen im Jahr nach der offiziellen Scheidung?
(Gelächter wie dreckige Wäsche)
Archie Alert: Der Scheidungsrichter hat alles aufgeräumt, und jetzt ist auch wieder gut.
Johnny Bottrop: Es gab ja keine großen Besitztümer, um die man sich jahrelang hätte zanken können. (noch mehr Gelächter)
Alert: Von meiner Seite aus war es auf jeden Fall die richtige Entscheidung.
Eine sehr einsame Entscheidung. Der Rest der Band war damals vollkommen überrascht.
Alert: Das hatte sich Jahre angebahnt, ich musste nur den besten Zeitpunkt finden.
Bottrop: Wir hatten uns 2002 schon mal zusammengesetzt und uns gefragt, ob nicht schon alles gesungen worden war, was gesungen werden musste. Da hat man bereits gemerkt, dass Archie das Gefühl hatte, die Baustelle Band ist fertig. Bei mir ist das ein bisschen anders.
Alert: Um ganz ehrlich zu sein: Auch wenn ich mich noch nicht so fühle, aber als alt gewordener Punkrocker wollte ich nicht enden. Man muss sich irgendwann überlegen, wie es die nächsten 20, 30 Jahre weitergehen kann mit dem Musikmachen für einen selber. Wenn ich heute meine ganzen alten Helden in ihren Reunion-Projekten auf der Bühne sehe, dann ist das nur traurig.
Wen von den alten Herren haben Sie zuletzt gesehen? Die Sex Pistols?
Alert: Nein, da hab ich mich geweigert. Das war ganz schlimm.
Was denken Sie, wenn Sie die Toten Hosen sehen oder Die Ärzte?
Alert: Die haben eine musikalische Entwicklung hingekriegt, egal ob die einem gefällt oder nicht.
Bottrop: Aber im Gegensatz zu diesen Bands sind wir doch minderbemittelte Underdogs. Wir sind nie mit 15 Nightlinern und schickem Catering getourt. Wir haben uns bis zum Schluss den Backstage-Raum mit fünf anderen Bands geteilt, das ist natürlich viel anstrengender so durch Europa zu touren.
In den Liner-Notes Ihres gerade erschienenen Abschieds-Albums „Rust In Pieces“ ist zu lesen, dass tote Bands viel besser sind als lebendige, weil sie nicht peinlich werden können. Haben Sie den Absprung rechtzeitig geschafft?
Alert: Auf jeden Fall. Es ist schließlich so einfach, weiterzumachen mit dem, was immer funktioniert hat – selbst auf relativ niedrigem Niveau. Ich glaube, viele gehen auch nach Jahren immer wieder auf Tour, weil sie eine neue, jüngere Freundin brauchen. Es gibt einfach eine Menge Bands, die ihr eigenes Vermächtnis mit Füßen treten. Schrecklich.
Was ist Ihr Vermächtnis, das Sie nun nicht mehr mit Füßen treten können?
Alert: Punk in den Neunzigern wieder so zurechtzurücken, wie er für uns in den Siebzigern war. Wir waren eine antipolitische Band, so wie auch der Punk der Siebziger antipolitisch war. Punk ist nihilistisch.
Bottrop: Wir haben einer relativ toten, abgegriffenen Punkszene, in der sich die Phrasen und Klischees nur noch wiederholten, neues Leben eingehaucht, indem wir sarkastischer an die Sache rangegangen sind.
Warum stirbt Punk nicht aus?
Bottrop: Weil es einen Bedarf gibt. Als Punk in England entstand und dann hierher schwappte, da ging es den Deutschen eigentlich noch viel zu gut. Sicherlich hören die meisten unzufriedenen Jugendlichen heute Hiphop und nicht Punk, aber Punk bekommt jetzt erst eine Existenzberichtigung, weil für einen 16-Jährigen alles beschissener wird, nicht nur materiell.
Alert: Ja, Punk darf sich bei Hartz bedanken.
Wo wir gerade bei prekären Lebenssituationen sind: Wo sind die Millionen geblieben, die Sie mit Terrorgruppe verdient haben?
Alert: Von der Terrorgruppe konnte man nie leben. Die größte Anstrengung war, seinen Lebensunterhalt zu finanzieren und nebenbei noch genug Zeit für die Band zu haben.
So rebellisch Punk auch tut, aber eigentlich ist das doch eine recht konservative Veranstaltung geworden.
Bottrop: Ja, beim Sauf-Punk auf jeden Fall.
Alert: All diese Klein-Szenen neigen dazu, sich abzukapseln, weil die Puristen und Nostalgiker dafür sorgen, dass es übersichtlich bleibt.
Mit denen gerade Sie öfter Probleme hatten …
Alert: Uns hat das immer nur amüsiert. Vielleicht liegt es daran, dass Punk eigentlich keine Regeln hat, dass sich manche Leute dann ganz besonders intensiv darüber Gedanken machen, was man für Regeln aufstellen könnte.
Aber ist es nicht sehr erschütternd, wenn man mit „Neulich Nacht“ einen Song über das Möglicherweise-schwul-Sein schreibt und plötzlich merkt, wie homophob die eigene Peergroup ist?
Alert: Aber das habe ich doch schon vorher gewusst. Deswegen hab ich das Lied ja gemacht. Wenn ich in einem Land lebe, in dem 98 Prozent der Bevölkerung stumpf sind, dann besteht auch die Punkszene zu 98 Prozent aus stumpfen Leuten. Bestes Beispiel ist immer noch unser Song „Die Gesellschaft ist schuld, dass ich so bin“. Wir haben uns wirklich Mühe gegeben, mit Erklärungen im CD-Booklet den Leuten den Sinn hinter diesem Lied begreiflich zu machen, aber irgendwann mussten wir feststellen: Die wollen das nicht. Die wollen wirklich brüllen: „Die Gesellschaft ist schuld, dass ich so bin“, und glauben an diesen Scheiß.
Bottrop: Die Punk-Szene ist eben nur eine Gesellschaft in der Gesellschaft.