: „Wir wären die Nazis“
Musiker Bernd Begemann und die Grass-Frage aus Sicht der 40-Jährigen: „Die Empörten sind gute Grass-Schüler“
Was ist relevant an der Diskussion um den Schriftsteller Günter Grass und die späte Bekanntgabe seiner Arbeit in der Waffen-SS – wenn man weder verständnisvoller Altintellektueller noch sich betrogen fühlender 68er noch gleichgültiger 30-Jähriger ist? Ein kurzes Gespräch mit dem Hamburger Popmusiker Bernd Begemann, 42 („Deutsche Hymne ohne Refrain“,„Hitler – menschlich gesehen“). Begemanns neues Soloalbum erscheint im Herbst.
taz: Herr Begemann, was sagt uns die Diskussion um Grass?
Bernd Begemann: Sie zeigt uns, dass es immer leichter ist, mit dem Finger auf andere zu zeigen. Aber ich bin Grass dankbar.
Wofür?
Ich bin dankbar, dass ich ihm als Konsument öffentlicher Meinung die Beichte abnehmen durfte. Wenn es ihm jetzt besser geht, geht es mir auch besser.
Joschka Fischer war laut SZ am meisten darüber geschockt, dass sich seine viele Jahrzehnte jüngere Frau so gar nicht für den Fall interessierte.
Das geschieht ihm recht.
Haben Sie Ihr Verhältnis zu Grass relativiert?
Ach, wenn mich jemand stilistisch nicht anspricht, vertraue ich ihm nicht, ob er nun bei der Waffen-SS war oder nicht. Das ist das eine.
Und das andere?
Für mich waren Heinrich Böll und Grass nie Lichtgestalten. Willy Brandt schon – der stand für Party und eine gute Zeit. Aber Grass und Böll haben dafür gesorgt, dass sich Leute schuldig fühlten, die überhaupt nichts gemacht haben. Sie gehörten zu einer Unwohlfühlindustrie.
Was ist mit den Empörten?
Sie offenbaren sich als perfekte Schüler von Günter Grass. Er hat es ihnen beigebracht. Der Empörungsstandard wurde ja von Grass eingeführt.
Und was ist mit den sich betrogen fühlenden 68ern?
Sie haben einen grundsätzlichen Fehler begangen: Man kann sich nicht über seine Eltern stellen.
Was heißt das konkret?
Die Leute, die vor uns da waren, haben das getan, was wir getan hätten, wenn wir in ihren Schuhen gesteckt hätten.
Wir wären, anders als die 68er annahmen, auch Nazis gewesen?
Na, selbstverständlich.
INTERVIEW: PETER UNFRIED