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Archiv-Artikel

„Was zu politisch ist, fliegt raus“

INTERVIEW FARID GARDIZI

taz: Herr Farin, können Sie sich noch erinnern, wann Sie Ihre erste Bravo gekauft haben?

Klaus Farin: Ich habe nie eine gekauft. Das liegt aber auch schlicht daran, dass meine Eltern in meiner Kindheit einen Zeitschriftenladen hatten. Insofern habe ich alles gelesen, weil ich alles umsonst bekommen habe. Für Jungs war Bravo damals aber nicht wichtig, weil sie eigentlich eine Mädchenzeitschrift war. Unsere Musikrichtung war eher Rock und Punk, und die hat sich in der Bravo nicht widergespiegelt.

Eigentlich war sie als Fernsehzeitschrift gedacht, entwickelte sich aber zum Sprachrohr für Jugendliche. Wie hat die Elterngeneration darauf reagiert?

Für die nationalsozialistisch und preußisch geprägten Eltern war das ein Schock. Auf der einen Seite dieser starre, konservative Lebensstil und auf der anderen Seite der American Way of Life, der für Lässigkeit stand. Plötzlich galt kommerzieller Erfolg als Kriterium, das war damals wirklich revolutionär. Und letztlich hat sich das sogar politisch ausgedrückt, weil ein Großteil der Musikkultur aus Amerika schwarz war. Das hat Bravo verteidigt. Bravo hat zum Beispiel ein Bild von Marlon Brando veröffentlicht und geschrieben: Die Älteren stehen mehr auf militärische Typen, wir Jugendliche schauen uns lieber den an.

Wie sah die Zeitschrift im Vergleich zu heute aus?

Das sind ganz unterschiedliche Hefte. Es gibt Schwarzweißgeschichten in der ersten Ausgabe, vier bis sechs Seiten lang. Es sind eigentlich keine richtigen Jugendthemen drin. Es ging ja zu Anfang ausschließlich um Film- und Fernsehstars. Lange Geschichten wie damals hat Bravo heute gar nicht mehr, wie bei fast allen Medien gibt es auch hier kurzen Journalismus. Seit den 70er-Jahren hat sie sich jedoch kaum weiterentwickelt, weder ästhetisch noch inhaltlich.

Die Zeit der 50er war prüde: Spielte Sexualität überhaupt eine Rolle?

Nicht wirklich. Weibliche Stars wurden natürlich sexualisiert dargestellt. Sex sells, das galt schon damals für Ikonen wie Marilyn Monroe oder Brigitte Bardot, den ersten Bravo-Starschnitt. Aber thematisiert wurde Sexualität nicht wirklich. Stars wurden in der Bravo damals immer nett dargestellt, wie Boygroups heute. Sie waren süß, sie kannten keine Exzesse. Bravo hat zum Beispiel geschrieben, die Rolling Stones haben zwar alle lange Haare, waschen sie aber täglich – alles ganz niedlich und harmlos. Alle anderen Seiten wurden ausgeblendet, Stars mit negativen Geschichten ließ man fallen, oder man ignorierte sie.

Wann hat sich die Bravo thematisch geöffnet und Sexualität nicht mehr als Tabu begriffen?

Bis 1968 handelten die Aufklärungsgeschichten von Moral, gutem Benehmen und Liebe. Sexualität wurde ausgeklammert oder negativ dargestellt. Zu der Zeit berieten noch Dr. Vollmer, der regelmäßig vor Homosexualität warnte oder davor, dass Petting zur Frigidität führt, und sein weibliches Pendant Dr. Kirsten Lindstroem, die nur ein wenig offener war. Interessanterweise verbirgt sich hinter beiden Pseudonymen die Millionenautorin Marie-Luise Fischer.

Und dann kam 1969 der liberale Dr. Sommer?

Genau, dann kam Dr. Martin Goldstein alias Dr. Sommer. Er hat damals Standardwerke geschrieben wie „Lexikon der Sexualität“ und „Anders als bei den Schmetterlingen“, die in den 60er-Jahren viel Aufsehen erregt haben. Da Goldstein gleichzeitig Therapeut war und Jugendliche beriet, hat man ihn gefragt, ob er das nicht machen möchte. Er hat zugestimmt, weil er darin eine Chance sah, seine Themen in ein Massenmedium zu bringen.

Warum dieser Umschwung?

Bravo hatte erkannt, dass sie einfach dem Zeitgeist gemäß eine progressivere Aufklärung und Leserberatung anbieten müssen, weil die LeserInnen ab 14 Jahren immer häufiger wegblieben.

Aber dann erhielt Bravo jede Woche Körbe mit intimen Fragen von Jugendlichen, eine Auswahl wurde von Dr. Martin Goldstein und seinem Team beantwortet. Wie haben die Eltern darauf reagiert?

Vielen Älteren ging das natürlich zu weit. So fortschrittlich waren die Zeiten nicht. Gerade kirchliche Kreise haben gewettert. Es gab bis in die 70er-Jahre hinein Beobachtungen, dass Jugendlichen, die überhaupt Bravo abonnieren durften, die Aufklärungsseiten vor dem Lesen zugeklebt wurden. Man musste Bravo heimlich lesen.

Anfang der 70er wurde Bravo sogar zweimal indiziert. Weshalb?

Ja, die Jugendämter haben oft beantragt, die Bravo zu indizieren. Sie waren damals nicht unbedingt eine progressive Institution. Da ging es eher um den Schutz der Jugendlichen vor sich selbst.

Gegen diese Art von Scheinheiligkeit protestierte die 68er-Bewegung. Hat Bravo den gesellschaftlichen Umbruch zu dieser Zeit insgesamt abgebildet?

Nein. Die Außerparlamentarische Opposition kam überhaupt nicht vor. Natürlich tauchten Bands auf, es gibt zum Beispiel Porträts von Grateful Dead, einer der musikalischen Protagonisten der Hippiebewegung. Selbst den Kommunen und WGs widmete man Geschichten, aber eher mit dem Tenor: Eigentlich sind sie alle nett und brav, sie sehen nur ein bisschen wild aus.

Politik und Bravo sind nicht vereinbar?

Über die ganzen 50 Jahre hinweg gibt es in Bravo keine im engeren Sinne politischen Geschichten. Eine große Ausnahme war die Ausgabe nach den Anschlägen vom 11. September, da gab es eine Bravo mit amerikanischer Flagge auf dem Titel. Aber das sicherlich weniger aus politischen Gründen, sondern aus kommerziellen Motiven, so wie der Papst vier Jahre später Popstar wurde.

Wie ist es dann zu bewerten, dass Bravo Themen wie Umweltschutz oder Drogen aufgreift?

Bravo will eine Zeitung sein, die Interessen von Jugendlichen aufgreift. Und alle Studien sagen, dass für Jugendliche im Bravo-Alter von 12 bis 16 Jahren Tier- und Umweltschutz die größte Bedeutung haben. Deshalb gibt es zum Beispiel eine Foto Love-Story mit einer Greenpeace-Aktivistin. Kurz vor Weihnachten kommt auch sehr häufig eine Drogengeschichte: Wie eine Bravo-Reporterin eine minderjährige Hure von der Straße und vom Drogenstrich rettete, verbunden auch mit erschreckenden Bildern. Da merkt man die zynische Herangehensweise.

Eine Art Bild -Zeitung für Teenager?

Bravo ist Jugendboulevard. Das ist die Zielrichtung. Tratsch und Klatsch über jugendliche Stars. ‚Fühl dich Bravo‘ heißt der aktuelle Slogan. Bravo versucht in erster Linie abzubilden, was unter Jugendlichen sowieso angesagt ist. Wenn sie es verfehlen, dann sinkt die Auflage. Deswegen hat Bravo eine exzellente Marktforschung. Alles, was zu radikal und zu politisch ist, fliegt raus – alles eben, was potenzielle Leser verstören kann.

Insofern ist Bravo aus gesellschaftlicher Perspektive konservativ?

Einer unserer Autoren hat auch die Frage gestellt: Hat Bravo die Gesellschaft verändert oder die Gesellschaft Bravo? Da muss man schon sagen, dass die Gesellschaft Bravo verändert hat, weil Bravo ein Spiegelbild des Mainstreams ist, des kleinsten gemeinsamen Nenners.

Ist es seit den 90ern angesichts der zahlreichen Jugendkulturen nicht schwierig geworden, diesen gemeinsamen Nenner zu bedienen?

Sicher. Deshalb sinkt die Auflage der Bravo generell. Bis 1998 lag sie mehr als 20 Jahre lang immer über einer Million, heute verkauft Bravo nur noch knapp die Hälfte. Es gibt inzwischen einfach zu viele Jugendmagazine, dazu noch das Internet und teure Handyklingeltöne, in die Kids ihr Geld investieren, und es gibt generell keine richtigen Stars mehr. Bravo hat ja davon gelebt, dass man einen Star aufs Titelbild packt, und eine ganze Generation ist entzündet. Und das funktioniert heute gar nicht mehr.

Deshalb sind heute manchmal zehn Gesichter gleichzeitig auf dem Titel?

Heute gibt es ja allein im Fernsehen etwa ein Dutzend Teenie-Soaps, die parallel laufen. Wenn Bravo möglichst viele Leute ansprechen will, muss sie möglichst viel thematisieren und damit ist nichts mehr groß. Hinzu kommt: Bands haben eine kürzere Halbwertszeit, und sie bedienen oft nur ein kleines Segment von Jugendlichen. Deshalb muss immer wieder was Neues her. Man braucht immer schnellere und kräftigere Events. Ein Generalist wie Bravo, der kein Special Interest Magazin ist, hat damit ein zentrales Problem.

Aber seit Tokio Hotel steigt die Auflage wieder?

Tokio Hotel haben vom Style her alles, was unter Jugendlichen derzeit angesagt ist. Das ist einmal Manga, das ist aber auch Gothic und ein bisschen Punk – Szenen, die vor allem unter jungen Mädchen besonders en vogue sind. Das war für Bravo optimal. Insofern haben sie die Band von Anfang an aufgebaut, mit immer größeren Geschichten, mit Postern und Startreffen. Bravo hat eigentlich Tokio Hotel groß gemacht, denn die Band hatte bei ihrer ersten Plattenfirma den Vertrag verloren. Da ist Bravo eingestiegen.

Und hat unter Jugendlichen eine regelrechte Hysterie mit Plattenverkäufen und Konzerten ausgelöst. Warum hat der Konsum – auch von Bravo – bis heute nie an Reiz verloren?

Jugendliche finden Konsum deshalb toll, weil die Industrie ihnen alles gibt, was sie brauchen. Musik, Mode, Partys, das bekommen sie nicht von der Kirche, den Eltern oder dem Jugendamt. Als Konsumenten sind sie Könige. Die Industrie schenkt ihnen viel Aufmerksamkeit. Man braucht Bravo nur zu lesen. In fast jeder Zeile steht „Du bist wichtig, du bist unser Kunde“. Wo werden Jugendliche ansonsten ständig umworben und mit diesem Respekt behandelt?

Die Industrie ermöglicht den Jugendlichen nicht nur Spaß, sondern Sinn?

Sagen wir so: Bravo treibt die Kommerzialisierung der Jugendkulturen voran, aber wir leben in einem System, das darauf basiert. Und die Konsumangebote kommen nicht von Jugendlichen. Es sind Erwachsene, die die Strukturen der Gesellschaft schaffen. Bravo wird von Erwachsenen gemacht, MTV wird von Erwachsenen gemacht. Und das Konsumverhalten lernen Jugendliche in der Regel nicht von Gleichaltrigen, sondern von den Eltern.

Welche Zukunft hat Bravo?

Ich denke, sie wird unter den Jugendmagazinen die auflagenstärkste Zeitschrift bleiben. Aber sie wird weiter an Auflage verlieren. Der ‚Tokio Hotel‘-Effekt wird verpuffen. Solche Hypes lassen sich nicht über Jahre strecken. Und das ist weder mit den Killerpilzen zu retten, die Bravo gerade aufbaut, noch mit einer anderen Band in nächster Zeit. Das heißt, sie werden künftig immer mehr von Nebenprojekten leben, also Bravo Girl!, Bravo Screenfun oder Bravo Sport und der CD-Produktion.