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Archiv-Artikel

Versklavung durch Begafftwerden

LIDOKINO 7 Das Spektakel und seine Bedingungen: „Venus Noire“ und „Road to Nowhere“ beim Endspurt des Filmfestivals von Venedig

VON CRISTINA NORD

Heute Abend werden in der Sala Grande der Goldene und der Silberne Löwe verliehen. Wer ein Anwärter für einen Preis ist, lässt sich schwer sagen. Zu heterogen ist die Jury besetzt, zu heterogen fällt auch das Wettbewerbsprogramm aus, als dass man orakeln wollte. Nur über eines lässt sich spekulieren: Normalerweise gehen Kampfkunstspektakel, so sie überhaupt den Weg in den Wettbewerb eines A-Festivals finden, leer aus. Mit Quentin Tarantino als Jurypräsidenten könnte sich das ändern, denn der US-amerikanische Regisseur hegt eine große Affinität zu seinen chinesischen und japanischen Kollegen.

Deshalb verwunderte es nicht, wenn etwa Miikes toller, geradliniger Samurai-Film „Jusan-nin no shikaku“ („13 Assassins“) oder Tsui Harks wuchtiges Wuxia-Spektakel „Detective Dee and the Mystery of Phantom Flame“ eine Auszeichnung erhielten. Bei der Pressekonferenz zu seinem Film antwortete Miike auf die Frage, warum eine Figur, die von einem Schwert durchbohrt wurde, in einer späteren Szene noch einmal lebendig auftaucht: „Physisch ist er tot. Aber seine Seele wandert noch herum. Es ist eine sehr seltsame Figur; vielleicht wollte sie einfach noch nicht sterben.“

Rassismus und Schaulust

Das Spektakelkino ist bei der diesjährigen Mostra stark vertreten, ergänzend dazu sind mehrere Filme programmiert, die es sich zur Aufgabe machen, die Bedingungen des Spektakels zu untersuchen.

Darren Aronofskys „Black Swan“, ein Ausflug in die hochneurotische Welt einer New Yorker Balletttänzerin, machte den Auftakt, Sofia Coppolas „Somewhere“ porträtierte einen zwischen Melancholie und Narzissmus gefangenen Hollywood-Schauspieler, es folgte Abdellatif Kechiches period piece „Venus Noire“ über die Südafrikanerin Saartjie Baartman, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts nach Europa kam, von ihrem Impresario als „Hottentotten-Venus“ auf Jahrmärkten zur Schau gestellt, das Interesse der zeitgenössischen Mediziner erweckte, untersucht, vermessen und als Beleg für rassistische Theorien benutzt wurde.

Die Form ihres Schädels und die ihres Gesäßes, argumentierten die Ärzte, würden klar die Nähe zum Affen beweisen. Nach ihrem frühen Tod im Jahr 1817 wurden ihre Körperteile, besonders ihre auffällig geformte Scham, in der Pariser Medizinakademie ausgestellt; erst 1974 wurden die Exponate den Augen der Öffentlichkeit entzogen; 2002 wurden die sterblichen Überreste Baartmans nach Südafrika überführt. In seiner ersten Stunde analysiert Kechiches Film auf ziemlich kluge Weise das Zusammenspiel, das sich im 19. Jahrhundert zwischen Schaulust, Wissenschaft, Rassismus und Pornografie ergab. Kechiche setzt zum Beispiel eine Londoner Gerichtsverhandlung in Szene, bei der ermittelt werden soll, ob die Schau, die Saartjie Baartman aufführt, Ausbeutung, ja Versklavung ist.

Die wohlmeinenden Männer von der Afrikanischen Gesellschaft wollen die Afrikanerin beschützen, kommen aber nicht auf den Gedanken, sie selbst zu fragen. Ihr Impresario sagt, sie sei frei, zwingt sie aber eben doch dazu, sich von den Schaulustigen in der Jahrmarktbude befingern zu lassen. Der Anwalt des Impresarios hält ein Plädoyer, in dem er von einem stillschweigenden Pakt zwischen Darsteller und Publikum spricht: Das Publikum weiß sehr wohl, dass Saartjie Baartman keine versklavte Wilde ist, gerade deshalb kann es die Darbietung, in der sie die versklavte Wilde gibt, genießen.

Und die Heldin selbst? Gießt sich ein neues Glas Wein ein, weil sie es nicht aushält, immer wieder aufs Neue die Geilheit der Zuschauer entfachen zu müssen.

Spektakuläre Körper

Leider trägt „Venus Noir“ umso dicker auf, je weiter er voranschreitet, was den Film auf Dauer redundant und geheimnislos macht. Hinzu kommt, dass er selbst nicht recht weiß, wie er mit dem spektakulären Körper der Hauptfigur umgehen soll.

Schließlich ist da noch Monte Hellmans Wettbewerbsbeitrag „Road to Nowhere“. Hellman ist bekannt für nihilistische, in ihrer Einfachheit bestechende Road Movies und Western wie „Two-Lane Blacktop“ (1971), „The Shooting“ (1966) oder „Ride in the Whirlwind“ (1966). In „Road to Nowhere“ macht er nun etwas ganz anderes: Er schaut einem jungen Filmemacher namens Mitch Haven (Tygh Runyan) dabei zu, wie der einen Film dreht, und zwar zum ersten Mal einen Hollywood-Film mit entsprechend hohem Budget. Dieser Film geht auf einen fait divers zurück, den aufsehenerregenden Doppelselbstmord eines Liebespaars irgendwo in den Südstaaten. „Road to Nowhere“ bewegt sich zwischen der Film-im-Film-Ebene und den Sequenzen der Drehvorbereitungen und -arbeiten hin und her; so behände, dass man immer mal wieder den Überblick verliert.

Man ahnt früh, dass die Hauptdarstellerin nicht jene Laurel Graham ist, für die sie sich ausgibt, und man ahnt, dass hier viel mehr auf dem Spiel steht als Mitchs Karriere. Am Anfang des Films kommt der mit seinem Produzenten zu einem Agreement. Zum Abschied sagt er: „All we can do now is fuck it up.“ Der Produzent entgegnet: „And you will.“ Nur eben noch mal ganz anders als gedacht.