piwik no script img

Archiv-Artikel

Ohrfeige und Versohlen sind heute eher die Ausnahme

KINDERTAG In Deutschland ist Prügel in der Erziehung verboten. Doch jedes neunte Kind erlebt Gewalt

BERLIN taz | Kevin, Jessica, Nadine. Drei Kinder von rund 150 Mädchen und Jungen, die jedes Jahr in Deutschland sterben, weil sie von ihren Eltern vernachlässigt und misshandelt werden. Weltweit erlebt über die Hälfte aller Kinder jeden Tag physische und psychische Gewalt, bis hin zum Tod. Das hat das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen Unicef in Umfragen herausgefunden und macht darauf anlässlich des Weltkindertages am 20. September aufmerksam.

Eigentlich sollten Kinder durch die UN-Kinderrechtskonvention, die im September 1990 in Kraft trat und die bis auf die USA und Somalia alle Länder der Erde unterschrieben haben, rundum geschützt sein. Aber in nur 25 Staaten ist jegliche Gewalt gegen Kinder gesetzlich verboten. In 88 Ländern beispielsweise ist noch immer Prügel in der Schule erlaubt. Auch werden Mädchen trotz weltweiter Ächtung zwangsverheiratet, zur Prostitution gezwungen und beschnitten, sagte Marta Santos Pais, UN-Sonderbeauftragte für Gewalt gegen Kinder. Sie plädierte dafür, in den einzelnen Ländern Beschwerdestellen für Opfer einzurichten. „Prävention muss eine Priorität der Sozialpolitik werden“, sagte Santos Pais. Schweden, das bekannt ist für seine fortschrittliche Gleichstellungspolitik, geht auch hier mit gutem Beispiel voran: Seit 2008 hat das skandinavische Land einen „Barn Ombudsmannen“, einen Kinderombudsrat.

In Deutschland ist seit zehn Jahren Gewalt als Erziehungsmethode gesetzlich verboten. Seitdem habe es einen Gesinnungswandel gegeben, sagte Christian Schneider, Geschäftsführer des Deutschen Unicef-Komitees: „Die Ohrfeige ist nicht mehr so normal wie früher.“ Im Grunde geht es Kindern hierzulande auch nicht so schlecht. Betrachtet man die Lebensumstände, in denen Kinder aufwachsen, liegt Deutschland laut Unicef im Vergleich zu anderen Industrienationen im oberen Mittelfeld. Trotzdem sind Drangsalierungen, Gewalt und Mobbing im Alltag vieler Kinder normal, sagte Schneider. Nach Angaben des Kinderschutzbunds erleben 13 Prozent aller Kinder täglich zu Hause oder in der Schule Gewalt.

Ein neues Risiko stellt das Internet dar. Jedes dritte Kind in der EU, das das Internet nutzt, ist dort auf Gewalt- und „Hass“-Seiten gestoßen, jedes vierte auf Pornoseiten. Jedes fünfte bis sechste Kind berichtete davon, im Netz beschimpft oder belästigt worden zu sein. Viele Kinder erzählen nicht von ihren Erlebnissen. Und wenn doch, dann vertrauen sie sich ihren Freunden an – im Netz.

SIMONE SCHMOLLACK