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Archiv-Artikel

Im Zentrum des „Neocraft“

GESAMTKUNSTWERK In der Alten Münze in Mitte arbeiten Designer und Kunsthandwerker an einer Vision: Das Direktorenhaus soll Berlins Zentrale für angewandte Kunst werden

„Uns geht es nicht um schönes Design, sondern um Rettung der kulturellen Vielfalt“

PASCAL JOHANSSEN

VON NINA APIN

„Am Krögel“ gehörte bislang zu den unglamourösesten Adressen Berlins: Um die Jahrhundertwende lebten in den engen „Krögel-Höfen“ gegenüber der Fischerinsel die Allerärmsten. Seit ein paar Jahren bestimmen der Neubau der Wasserbetriebe und die heruntergekommenen Gebäude der 1935 erbauten Reichsmünze die Szenerie. Doch nun kommt wieder Bewegung in die Gegend: Eine Gruppe junger Designer arbeitet seit Juni am Krögel 2 an der Errichtung eines Gesamtkunstwerks. Wo früher die Führungsriege des Münzamtes das Geld verwaltete, zeigt das „Direktorenhaus“ nun angewandte Kunst – von der Tapete bis zum Glasobjekt.

Wer sich von der bräunlich-verwitterten Fassade nicht abschrecken lässt, folgt den Blütenblättern, die eine Spur durch das schneckenförmige Treppenhaus legen. Im ersten Stock hängen bunte Glaskugeln von einem Gewölbe aus Brettern. Eine im 50er-Jahre-Look gestylte Empfangsdame weist den Weg in die dunkelrot gestaltete Bar am Ende des Flurs. Und bittet um Geduld: Herr Johanssen erscheine gleich, man möge sich in der Zwischenzeit doch etwas erfrischen. Von der Decke blitzt ein aus Kristallglas gearbeiteter Adler. Das Direktorenhaus ist ein Ort der Schönheit, aber schwer zu fassen. Wo befindet man sich hier – Kunstausstellung, Showroom für Design, Kreativbüro?

„Uns geht es nicht um schönes Design, sondern um die Rettung der kulturellen Vielfalt“, sagt Direktorenhaus-Gründer Pascal Johanssen, als er beschwingten Schrittes die Bar betritt. Überall gebe es die gleichen Möbel, wenige große Ketten dominierten mit ihren Designobjekten den Markt, beklagt der Schwarzhaarige mit der schwarzen Designerbrille. Um seine Worte zu illustrieren, hat er auf einer schwarzen Sitzgruppe mit knallbunten Stahlrahmen Platz genommen, ein Prototyp der schwedischen Designergruppe Muungano. Johanssons Silhouette wird effektvoll eingerahmt durch ein Ensemble aus Hölzern, Moos und Blumen im Fenster. Die weißen Wände zieren Grafiken, Tapeten mit ornamentalen Mustern und kokonartige Glasobjekte. Das gleichberechtigte Nebeneinander von Möbeldesign, Kunst und Kunsthandwerk ist am Krögel 2 Prinzip. „Wir verstehen uns in der Tradition des Werkbundes“, sagt Johanssen. Nach dem Vorbild der 1907 gegründeten Vereinigung wollen die Direktorenhaus-Macher Kunst, Industrie und Handwerk zusammenbringen.

Warum es einen Gegensatz zwischen den drei Bereichen geben soll, leuchtet Johanssen und seiner Partnerin Katja Kleiss nicht ein. Um der fast vergessenen Kunst der Illustration zu neuem Ansehen zu verhelfen, gründeten die beiden 2006 das „Illustrative“-Festival und geben seit 2008 das Magazin „Objects“ heraus, das einen Bogen zwischen Tapetendesign und Kunsttheorie spannt. Doch die punktuelle Vermittlungsarbeit war den beiden nicht genug. Sie suchten einen Ort, an dem sie dauerhaft an ihrer Vision der Verschmelzung verschiedenster Kunstsparten arbeiten können. Sie fanden ein seit 15 Jahren leer stehendes Gebäude mit Aussicht auf Fischerinsel und Historischen Hafen, das sie derzeit auf eigene Kosten renovieren.

Im halbfertigen zweiten Stock, der am 23. September offiziell eingeweiht wird, lässt ein Trio aus einem Illustrator, einer Textildesignerin und einem Lichtdesigner vergangene DDR-Zeiten wieder aufleben: Zwischen Wandverkleidungen und Armaturen nisten sich geklebte und genähte Objekte ein, auf dem Boden beult sich eine „Kuscheldecke“ aus feinen Holzplättchen. Das Ganze wird illuminiert von LED-Leuchten, deren Form an Forsythienzweige erinnert.

„Um Räume zu inszenieren, braucht man Vorstellungskraft“, sagt Johanssen. Eine reine Galerie für angewandte Kunst soll das Direktorenhaus nicht sein – obwohl man alle ausgestellten Objekte auch erwerben kann. Durch Performances, Vorträge und Festivals will man ein Treffpunkt für Gleichgesinnte werden, die irgendwo zwischen bildender Kunst und Design operieren. Und dabei einen politischen Anspruch haben, wie Johanssen betont. „Wir besetzen die Nische zwischen dem fetten Kunstmarkt, gefälligem Massendesign und piefigem Kunsthandwerk“, sagt er.

„Neocraft“ nennt sich die Szene, die sich nicht nur Fragen nach der guten Form, sondern auch nach hochwertigen Materialien und nachhaltiger Produktion stellt. Dazu gehören feministische Häkelkünstlerinnen ebenso wie Glasdesigner oder Weber. Ein solcher soll bald im Untergeschoss Kurse im „action weaving“ anbieten. Das kreative Umfeld des Direktorenhauses umfasse rund 60 Leute, global aber seien es sehr viele, die ähnlich dächten, so Johanssen.

Die subversive Handarbeitsszene Deutschlands hat das Direktorenhaus jedenfalls schon im Boot: Anfang September zeigte die Onlineplattform „Etsy“ die schönsten botanischen Experimente für zu Hause. Zum Nachahmen und Weiterverbreiten. Ganz im Sinne der neuen Hausherren am Krögel 2.

www.direktorenhaus.com