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Archiv-Artikel

Kinder sind besonders arm dran

ARMUT Vier von zehn Kindern in Berlin leben in einer Familie, die Sozialleistungen bezieht. Als Konsequenz fordert der Kinderschutzbund einen besseren Zugang zu Bildung

„Es muss eine Chancengleichheit für alle geben“

SABINE WALTHER, KINDERSCHUTZBUND

VON ANNA HUNGER

Berlin ist bundesweit zum fünften Mal in Folge trauriger Spitzenreiter in Sachen Kinderarmut. Nach einem leichten Rückgang 2008 stieg die Zahl der hilfebedürftigen Kinder unter 15 Jahren 2009 wieder an, berichtete der Kinderschutzbund am Mittwoch. Laut einer Erhebung des Berliner Landesverbands müssen fast 40 Prozent aller Berliner Kinder unter 18 Jahren als arm gelten. Das heißt, 200.000 Kinder leben in Familien, die staatliche Transferleistungen bekommen. „Wir müssen umsteuern, Berlin geht sonst zugrunde“, sagte Sabine Walther, die Vorsitzende des Landesverbands des Kinderschutzbundes.

Als Konsequenz forderte Walther, armen Kindern vor allem den Zugang zu Bildung zu erleichtern. Kostenfreie Krippen- und Kitaplätze sowie Ganztagesschulen für alle seien ebenso wichtig zur Bekämpfung von Armut wie kostenfreie Lehr- und Lernmittel. „Es muss eine Chancengleichheit für alle geben“, sagte Walther. „Es kann nicht sein, dass man vor allem denen Bildung verwehrt, die sie besonders brauchen.“

Walther forderte, die diversen Hilfsangebote der Hauptstadt besser zu vernetzen. „Es gibt viele gute Ziele, aber sie werden nicht konsequent genug durchgeführt“, sagte sie. So sollte die frühzeitige, aufsuchende Familienbetreuung ausgebaut werden. „Eltern müssen nicht nur nach der Geburt des ersten Kindes, sondern auch nach weiteren Kindern besucht werden. Wenigstens in kinderreichen Bezirken wie Mitte und Neukölln sollte das konsequent gemacht werden.“

Auch Rudi Tarneden, Sprecher der Unicef Deutschland, erklärte, kostenfreie Kindertagesstätten und Kindergartenplätze seien ein sinnvoller Schritt zur langfristigen Bekämpfung der Kinderarmut. „Wer in ungünstigen Verhältnissen aufwächst, wird aus diesen ohne Förderung nicht rauskommen“, sagte er der taz. Zudem plädierte er dafür, die Höhe des Hartz-IV-Satzes auf die Bedürfnisse von Kindern zuzuschneiden – und nicht nur auf die von Erwachsenen. „Eine Grundversorgung, die Lernen überhaupt erst möglich macht, muss da sein.“ Und die müsse Dinge wie Nachhilfe, Musikunterricht oder Klassenfahrten mit einschließen.

Auch Gabi Mohr, die Gründerin des Vereins gegen Kinderarmut, forderte eine Erhöhung des Hartz-IV-Satzes. Zwar koste ein Kindergartenplatz mit sechsstündiger Regelbetreuung im Monat nur 26 Euro, aber selbst das sei für viele Eltern häufig nur schwer zu stemmen. Dabei sei Kinderbetreuung wichtig, damit etwa auch alleinerziehende Mütter wieder arbeiten könnten.

Den Zusammenhang zwischen Kinderarmut und Arbeitslosigkeit der Eltern sieht auch die Sprecherin von Sozialsenatorin Carola Bluhm, Karin Rietz. Seit der Wende seien bekanntlich viele Arbeitsplätze vernichtet worden. „Das kann man nicht in ein paar Jahren beseitigen.“ Aber es sei ja nicht so, dass in Berlin nichts gemacht werde, so Rietz. „Mit dem Superferienpass, dem Familienpass und einem kostenlosen letzten Kitajahr ist Berlin gut aufgestellt.“