: Wortakrobaten als Hobbypsychologen
FRESH Die Inszenierung von Gegnerschaft in der HipHop-Disziplin Battle-Rap ist große Reimkunst in Echtzeit, wie der alle 14 Tage stattfindende „Rap Am Mittwoch“ (RAM) im Bi-Nuu lehrt. Künstlerinnen fehlen allerdings
VON LUCIE YERTEK
„Wenn ihr nichts mit HipHop am Hut habt, müsst ihr gehen!“, rufen die Gäste des Bi-Nuu in Kreuzberg jeden ersten und dritten Mittwoch im Monat in ohrenbetäubender Lautstärke.
Das Schauspiel, das sich hier bietet, kennt man aus amerikanischen Filmen wie „8 Mile“: Battle-Rap. Die Veranstaltung „Rap am Mittwoch“, kurz RAM, bringt ein Stück der amerikanischen Rap-Kultur nach Berlin. Aber es ist nicht dasselbe: „Der Battle-Rap in Deutschland steckt im Gegensatz zum amerikanischen noch in den Kinderschuhen“, resümiert Organisator von RAM, Ben Salomo. Deshalb soll ein neues Format, die Battlemania Champions League (BMCL), das Niveau des deutschsprachigen Rap heben. Acht Wochen lang haben die Teilnehmer Zeit, sich zielgerichtet aufeinander vorzubereiten. „In der Champions League versuchen wir außerdem, spektakuläre Teams zusammenzustellen“, erläutert Salomo das Konzept.
Gemeint ist die Art von Sensation, die man im Rap sehen will: Schockpotenzial. So sei RV, Finalist der BMCL am vergangenen Mittwoch, vielen Fans bereits aus einem kontroversen Battle bekannt. Darin habe er den Tod eines Familienmitglieds seines Kontrahenten thematisiert, einen so privaten Bezug hatte es bei RAM noch nie gegeben.
Mit einem ähnlichen Verlust in seiner Familie musste sich auch Mighty P, RVs Gegner, auseinandersetzen. Daher seien die beiden eine interessante Zusammenstellung, befindet der Organisator. Was für den Laien nach Psychoterror klingt, ist für die HipHop-Künstler Teil der Show.
Im Battle werden eben alle Register gezogen mit der Erwartung, dass die Rapper damit professionell umgehen, erklärt Salomo. „Rapper sind sozusagen Hobbypsychologen“, stimmt ihm RV zu. Die lange Vorbereitungszeit erhöht allerdings auch den Erwartungsdruck, sodass am Ende beide Champions-League-Rapper an manchen Stellen aus dem Konzept kommen.
Das ungeplante Finale zwischen Fresh Polakke und Ssynic am letzten Mittwoch wirkt dagegen dynamischer. Sie ziehen sich mit Klischees über Polen und Afrika bis an die Schmerzgrenze auf. Aber am Ende reichen sie sich kumpelhaft die Hand. Unterschiedlich und kontrovers sind auch die BMCL-Finalisten: RV, Student der Humboldt-Universität, gegen Mighty P, der über sich selbst sagt, er stamme aus der sozialen Unterschicht. In einer provozierenden Videobotschaft, die vorher im Netz zu sehen ist, bezeichnet er RV als Schreibtischhengst.
Doch im Rap respektieren sie sich, wie sie einvernehmlich erklären. Rap sei kein Klassen- oder Herkunftsding mehr, befindet auch Salomo. Trotz all der scheinbaren Toleranz im HipHop schafft es an diesem Abend keine Frau in ein Battle. Zwei Rapperinnen versuchen sich in der Cypher, der Vorrunde. Bei RAM sind hin und wieder Frauen zu sehen, die Hürde zum Battle nehmen sie in der Regel nicht. Warum es im deutschen Rap keine erfolgreichen Künstlerinnen gibt, darüber rätseln die Rapper. Schließlich haben in den USA erfolgreiche Battle-Rapperinnen wie Salt’n’Pepa, Queen Latifah oder Azealia Banks eine lange Tradition. Einen Grund sehen sie darin, dass deutsche Künstlerinnen wie Schwesta Ewa selbst sexistische Klischees bedienen und damit beim breiten Publikum nicht erfolgreich sind. Es fehle eine selbstbewusste Vorreiterin.
Allerdings wird es Newcomerinnen nicht leicht gemacht: „Wenn eine Frau etwas im Internet präsentiert, wird sie in den Kommentaren stark auf ihr Äußeres reduziert“, konstatiert RV. Da sich US-HipHop mit einem Vorsprung von rund 15 Jahren etablieren konnte, spielten im Mutterland des Rap Onlinekommentare noch keine bedeutende Rolle.
Diese Hürde gilt es nun für deutschsprachige Künstlerinnen selbstbewusst zu überwinden. „In Deutschland muss einfach mal eine Frau kommen, die richtig fresh rappt“, meint Salomo. Auch auf einen homosexuellen Rapper warte er. Der könne dann die oft homophoben Texte kontern mit so etwas wie: „Dein Vater hat deine Mutter verlassen, weil er mit mir durchgebrannt ist.“ In seinen Augen sei es wichtig, dass man sich im Rap alles sagen und hinterher darüber lachen könne. „Erst dann haben wir die ganzen Vorurteile überwunden“, folgert er.
■ RAM: wieder am 19. März im Bi-Nuu, 21 Uhr