: „Ein Gegengewicht setzen“
INTERVIEW PASCAL BEUCKER UND CHRISTOPH SCHURIAN
taz: Auf dem Zukunftskongress in Berlin stellen sich die Grünen gerade die Frage: „Wie geht‘s nach morgen?“ Und, Herr Klocke, wie geht‘s nach morgen?
Arndt Klocke: Die Frage ist, ob es gelingt, wieder klarer zu machen, was man jenseits des Regierungshandelns an den Grünen festmachen kann, wofür sie stehen.
Sie haben mit anderen „jungen reformorientierten Grünen“ ein Papier formuliert. Eine Überschrift lautet „Umweltpolitik ohne Regelungswut“. Die Fundamentalkritik an der grünen Regierungspolitik hat uns schon überrascht.
Nein, eine solche ist es nicht und sollte es auch nicht sein. Ich glaube, dass wir im Großen und Ganzen eine richtige Politik gemacht haben.
Aber die Regelungswut ist ein Kampfbegriff der Grünen-Gegner. Haben Sie es auch endlich eingesehen?
Die Regelungswut ist eines der zentralen Argumente gegen uns gewesen – vor allem im Landtagswahlkampf. Aber ich glaube, wir hatten das früher eingesehen, als man uns unterstellt. Die Umweltpolitik, die wir hier in NRW gemacht haben, war nicht zu bürokratisiert, nicht überreguliert. Natürlich musst du Regelungen aufstellen, um den Einstieg in erneuerbare Energien zu schaffen. Aber es gibt selbst in der gegenwärtigen Landesregierung Minister, die bescheinigen dem ehemals grünen Umweltministerium die schlankste Verwaltung.
Trotzdem fordern Sie, die Grünen müssten den „Feldhamster-Mythos“ überwinden“. Auch damit landete Schwarz-Gelb im Wahlkampf ihre Brüller.
Ja, leider. Dabei war es ja gar nicht so, dass wir diese Wiese per se schützen wollten. Es war klar, dass darauf gebaut wird. Deswegen war nicht der Feldhamster ein Mythos, sondern die Unterstellung, wir würden eine Unternehmensansiedlung verhindern. Das Problem war, dass diese bösartige Unterstellung gefruchtet hat, weil uns so etwas zugetraut worden ist...
Und warum wurde Ihnen das zugetraut?
Weil es uns nicht genug gelungen ist, deutlich zu machen, dass Ökologie und Nachhaltigkeit wichtig sind, aber keine wirtschaftlichen Hemmnisse bedeuten. Wir müssen offensiver darstellen, dass die Grünen investitionsfördernder sind, als es uns vielfach zugetraut wird.
Fordern Sie deshalb weniger Staat, mehr Markt? Finden Sie das wirklich originell?
Ich will gar nicht sagen, dass wir hier elementar neue Erkenntnisse formuliert haben. Wir haben das zusammengefasst, was wir wichtig finden. Es geht uns darum, das wirtschaftspolitische Profil der Grünen zu schärfen. Dabei setzen wir nicht zuletzt auf die freie Initiative gerade bei Unternehmerinnen und Unternehmern. Wir wollen die Leute aktivieren, auf eigene Potentiale zu setzen und nicht auf eine durchorganisierte Gesellschaft. Gleichwohl wollen wir so viel Staat wie nötig, aber eben nicht mehr.
Findet sich deshalb bei Ihnen nicht ein Fünkchen Kapitalismuskritik?
Uns ging es darum, ein Gegengewicht zu setzen gegen jene bei manchen Grünen um sich greifende Stimmung, der als Konsequenz aus dem Ende der rot-grünen Regierungszeit nicht mehr einfällt als „back to the roots“. Kritisiert wird, wir hätten zu wenig auf staatliche Lenkung gesetzt. Propagiert wird quasi das alte Sozialstaatsmodell. Als Antwort auf diese Diskussion haben wir unser Papier geschrieben.
Indem erteilen Sie nicht nur dem alten, sondern auch einem neuen Sozialstaat eine Absage.
Wie kommen Sie darauf?
Sie weisen die Forderung nach einem staatlich garantierten Mindesteinkommen brüsk zurück.
Es gibt innerhalb der Grünen eine sehr intensive Debatte um das bedingungslose Grundeinkommen. Aber zu was führt es, den Leuten à priori eine Grundfinanzierung zu garantieren? Ermutigt es sie, selbstständig aktiv zu werden oder stellt es nur Arbeitslose per Stillhalteprämie aufs Abstellgleis? Ein solches Grundeinkommen wäre das Gegenteil von einem aktivierenden Sozialstaat, deswegen halten wir es für falsch.
Sie knüpfen Bedingungen an eine Grundfinanzierung. Doch was passiert mit denen, die sich nicht verwerten lassen? Reichsarbeitsdienst? Streichung aller staatlichen Unterstützung?
Beides nicht. Wir treten für eine soziale Grundsicherung zur Existenzsicherung ein. Über die Höhe werden wir diskutieren müssen. Außerdem glaube ich nicht, dass es Leute gibt, die per se nicht arbeiten wollen. Es fehlen für zu viele Menschen die Angebote auf dem Arbeitsmarkt.
In dem Papier steht nichts zum Thema Grund- und Freiheitsrechte. Fällt den Grünen dazu nichts mehr ein?
Wir haben diesen Bereich bewusst ausgespart, weil wir uns auf einige Themen beschränken wollten. Zudem gibt es da innerparteilich keinen großen Dissenz.
Reicht es also, nur etwas weniger Überwachungsstaat haben zu wollen als die politische Konkurrenz? Die Vision von einer demokratischeren Gesellschaft scheinen die Grünen nicht mehr zu haben.
Der Eindruck kann da sein, das stimmt. Aber ehrlich gesagt, ist die Frage nach einer demokratischeren Gesellschaft eine, die einem in der aktuellen tagespolitischen Debatte selten begegnet. Wir haben in der Regierungsverantwortung, speziell während der Hysterie nach dem 11. September 2001, zwar schon einiges an Grundrechteabbau verhindern können. Aber wir haben auch manches mitgetragen, wo ich mir sicher bin: Wenn uns das einer beim Start der Regierungszeit 1998 vorausgesagt hätte, hätten wir ihm im Brustton der Überzeugung gesagt: Das werden wir nie machen! Bis heute sind wir hier in einem schwierigen Abwehrkampf.
Die NRW- Grünen suchen „Weltverbesserer“, heißt es auf ihrer Homepage. Könnte dies das Problem Ihrer Partei sein: Dass die Weltverbesserer fehlen?
Ein paar mehr könnten wir schon gebrauchen. Deshalb ist die Grundsatzdebatte für uns wichtig, auch um neue Aktive zu gewinnen.