MATTHIAS STÜHRWOLDT GRÜNLAND
: Und noch komm ich zurecht

Der Nebel hängt tief über dem Depenauer Moor, wenn ich die Kühe von der Weide hole. Hier bin ich zu Hause. Aber so einfach, wie mein Vater einst prophezeite, ist das Auskommen als Milchbauer nicht. Ein September-Blues

Ich bin Milchbauer, Biomilchbauer, und ich bin es gerne. Und ich will es auch gerne bleiben. Nicht, weil mir nichts anderes einfallen würde. Sondern weil ich finde, dass es Sinn macht. Ich habe sechzig Milchkühe, die im Sommerhalbjahr den ganzen Tag und die ganze Nacht auf der Weide sind. Nur zum Melken hole ich sie morgens und abends kurz in den Stall. Wenn ich jetzt, in diesen Septembertagen, im Morgengrauen durch das taunasse Gras stapfe, um die Kühe zu holen, habe ich genug Zeit, den Blick schweifen zu lassen.

Nie und nirgends ist der Himmel so wunderschön wie über Schleswig-Holstein im Frühherbst am Morgen. Über dem Depenauer Moor hängt tief der Nebel, und darüber fliegen Gänse und schreien. Nur von ferne rauscht die Autobahn, fast wie das Meer, und ich fühle, wie sehr ich hier zu Hause bin. Grünland mit Kühen darauf. Meine Heimat.

Und ich grüble. Mein Vater, 76 Jahre alt und immer noch eine große Hilfe bei der Arbeit, hat früher mal zu mir gesagt: „Wenn du als Milchbauer fleißig bist und dein Geld nicht zum Fenster rauswirfst, wirst du immer zurechtkommen.“ Ich hab das schon damals nicht geglaubt.

Seit 1911, seit fast hundert Jahren, sind wir Stührwoldts nun Bauern in Stolpe. Damals befreiten sich meine Urgroßeltern aus der Knechtschaft und kauften den ersten kleinen Hof, elf Hektar groß. Inzwischen gehören uns 40 Hektar Land, und noch mal 65 haben wir gepachtet, überwiegend Grünland, kaum Acker. Nächstes Jahr im Februar kann ich Jubiläum feiern. Dann bin ich seit zwölfeinhalb Jahren Bauer, ein Achtel der Zeit. Und vielleicht war der Hof noch nie so bedroht wie jetzt, hüfthoch im Dispo.

Höfesterben – Betriebswirtschaftler sagen: „Strukturwandel“ – hat es immer gegeben. Neulich sprach ich mit einem landwirtschaftlichen Berater darüber, dass Bauern häufig erst über das Verschwinden von Höfen nachdenken, wenn sie merken, dass sie selbst die nächsten sein könnten, die die Forke abgeben müssen.

Im Moment sind es die Biogasanlagen, die uns Milchbauern große Sorgen bereiten. Wie riesige Silikontitten ragen ihre Plastikhauben plötzlich allerorten in den Himmel, und das Energieeinspeisegesetz hat sich zu einer gigantischen Förderung einer industriellen Landwirtschaft fehlentwickelt. Der Maisanbau explodiert; die vielfältige Kulturlandschaft weicht rasend schnell einer monotonen Produktionslandschaft. In ihrer Gier nach Fläche hauen die Biogasanlagenbetreiber nahezu jeden Pachtpreis raus, sodass den Verpächtern landwirtschaftlicher Flächen die Dollarzeichen in den Pupillen stehen. Ein benachbarter Exbauer kriegt für seine 35 Hektar Eigenland im Jahr 28.000 Euro Pacht. Fürs Nichtstun. So viel Gewinn habe ich im letzten Jahr mit vierzig Hektar Eigenland, sechzig Milchkühen und 365 Tagen Arbeit nicht gemacht. Da komm ich mir doch bescheuert vor, wenn ich stur daran fest halte, gesunde Weidemilch zu erzeugen. Stattdessen könnte ich auf dem Sofa sitzen und aus dem Fenster heraus den Mais angucken. Mach ich aber nicht. Schön blöd vielleicht. Doch Geld ist ja nicht alles. Und noch komm ich zurecht.

Der Autor ist Biobauer und kolumniert ab jetzt alle vier Wochen in der sonntaz Foto: privat