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Archiv-Artikel

Der kleine Mann muss meckern

ASCHERMITTWOCH IN DER STADT

Hier wird noch an die staatsbürgerlichen Pflichten appelliert

Karneval fand in Berlin dieses Jahr erst gar nicht statt. Dafür gab es ein paar gute Gründe: Erstens hatten sich bei den halbherzigen Karnevalsversuchen der vergangenen Jahre sowieso nur ein paar Touristen an die Umzugsstrecke verirrt (auch wenn die ein oder andere Boulevardzeitung gerne von „zigtausend Besuchern“ schrieb), zweitens gibt es in Berlin eh schon genug überflüssige Veranstaltungen, und drittens wurde einfach behauptet, die Schunkelparade könne aus Lärmschutzgründen nicht stattfinden. Eine ziemlich irrsinnige Erklärung für eine Stadt wie Berlin. Die Wahrheit ist ganz einfach: Niemand will hier mit Kamelle beworfen werden oder angetrunkene, fremde Senioren küssen müssen, wenn er über den Ku’damm schlendert.

Stattdessen geht man lieber zum Politischen Aschermittwoch ins Tempodrom und lässt sich von Kabarettisten und Musikern wie Wilfried Schmickler, Arnulf Rating, Martin Sonneborn oder Konstantin Wecker erklären, warum man sich für die Politiker, die Beamten oder die Flughäfen dieses Landes schämen müsse. Als ob ich mich dafür schäme, dass eine Landebahn nicht rechtzeitig fertig wird.

Hier wird noch an die staatsbürgerlichen Pflichten appelliert. In bester „Der kleine Mann“-Manier wird drauflosgemeckert, über „die Merkel“ und „die NSA“. Nie so, dass es wirklich wehtut, man stilisiert sich zum Opfer der Machenschaften „derer da oben“.

Als Martin Sonneborn für einen lichten Moment sorgt bei dieser zehnten Runde des Politischen Aschermittwochs und Tweets eines von ihm gefälschten Twitter-Profils des SPD-Spitzenkandidaten für Hessen, Schäfer-Gümbel, vorliest, hallen Buhrufe durchs Tempodrom. Konstantin Wecker tritt mit einem verbundenen Arm auf, er kann an dem Abend leider kein Klavier spielen. Aber dafür kann er noch singen. Über Merkels eisiges Lächeln zum Beispiel. Da hüpft das offiziell rote Herz mit Parteimitgliedschaft, und der Weißwein droht überzuschwappen.

Während man sich fragt, ob Wecker mit ein wenig Koks im Blut nicht wieder spannender wäre und Arnulf Rating zu Zeiten der 3 Tornados nicht mal was zu sagen hatte, schunkeln die Berliner Karnevalisten die Saison in Cottbus aus. Dorthin haben Sie sich nämlich ins Exil zurückgezogen. Auch keine närrische Hochburg, mal schauen, wie lang es dauert, bis sie von dort vertrieben werden. JURI STERNBURG