: Gewalt und Schönheit
SPURENSUCHE Beim Spaziergang gefunden: Graffiti und Hausfassaden bilden den Text der Stadt, den Nadia Kaabi Linke in Zeichnungen und Collagen weiterbearbeitet. Ihre Ausstellung „Tatort“ ist zu sehen in der Galerie Hosp
VON HÜLYA GÜRLER
Sie holt kaum Luft, während sie erzählt. Sowohl beim Gang durch ihre in Aufbau befindliche Ausstellung in der Galerie Hosp als auch beim Spaziergang durch die Stadt. Letzterer ist besonders spannend, denn Nadia Kaabi Linke sucht in Wänden, Graffiti und Putz nach Geschichten, die sie weitererzählen will.
Nadia Kaabi Linke hat in vielen Städten dieser Welt gelebt und ausgestellt. Und weil sie immer unterwegs ist, hat sie immer einen unausgepackten Koffer zu Hause. Sie wuchs in Tunis, Kiew und Dubai auf, mit einer russischen Mutter und einem tunesischen Vater; sie studierte Kunst in Paris und Tunis und zog vor vier Jahren nach Berlin. Ihr besonderes Augenmerk gilt den vom Alltagsleben eingeholten Hausfassaden, etwa mit Einschusslöchern, die überlagert sind von spontanen Wandzeichnungen und bald dem „Staatsvandalismus“ – wie sie es nennt – anheimfallen, sprich: saniert werden, weil sie offiziell sonst das Stadtbild stören würden.
Eine Hauswand am Kupfergraben etwa hat es ihr angetan. Passanten haben daran mit Kreide „Nie wieder Krieg“ oder „rote armee was here“ geschrieben. Umso mehr freut es sie, dass der Architekt David Chipperfield bei der Sanierung des gegenüberliegenden Neuen Museums die Spuren des Kriegs bewusst unberührt gelassen hat.
„Kulturwüsten“, wie sie Dubai City mit ihren Shopping Malls und protzigen, verschwenderischen Prestigebauten nennt, kann Linke nicht ausstehen. Ihre Arbeit „Under Standing Over Views“ will die Kehrseite dieser Prunkbauten thematisieren: Zahlreiche an Seidenschnüren hängende Häuserputzstücke ergeben in ihrer Gesamtheit die kartografischen Umrisse der Vereinigten Arabischen Emirate. Damit verweist Kaabi Linke auf die Geschichte der Entstehung der Prachtpaläste des Emirats: hunderte von Bauarbeitern, arme Migranten aus Pakistan, Indonesien und China müssen in der unerträglichen Hitze des Wüstenstaats zu Hungerlöhnen arbeiten. Einige begingen dabei Selbstmord, weil sie die menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen nicht aushielten. Das ist ein Beispiel für einen Moment in ihrem Werk, das, wie Kaabi Linke sagt, „unter Schönheit gleichzeitig Gewalt birgt“.
In ethnische Schablonen wie arabische, islamische oder russische Kunst lassen sich Arbeiten von ihr nicht einzwängen. Graffiti sind für Kaabi Linke „sehr männliche“ Dokumente in der Öffentlichkeit der Wände und Hausfassaden. „Es sind überall auf der Welt meistens Männer, die mit harten Linien ihre jeweils persönlichen Unterschriften den Wänden überlassen.“ Sie kontrastiert diese Härte mit einem weichen Gegensatz, indem sie menschliche Hautabdrücke an den Wänden sichtbar macht, mit einem speziellen Pulver aus der kriminologischen Spurensicherung. Was die Kuratorin ihrer Ausstellung in der Galerie Hosp, Jamila Adali, zu dem Namen „Tatort“ inspiriert hat.
Adali hat Nadia Kaabi Linke 2009 bei der neunten Biennale in Scharjah in den Vereinigten Arabischen Emiraten entdeckt, wo Kaabi Linke in ihrer Jugendzeit fünf Jahre lang mit ihren Eltern gelebt hat. „Das war eine schreckliche Zeit für mich“, erinnert sie sich. „Ich war praktisch in der Wohnung eingesperrt.“ Mit zwölf hat sie angefangen zu zeichnen. Ursprünglich wollte sie Tänzerin werden. „Aber die Erfahrungen in den Emiraten haben diesen Traum zerstört und die Künstlerin in mir geweckt.“ Und: „Es ist vielleicht die Erfahrung des Eingesperrtseins, weshalb ich mich gerne draußen aufhalte. Und die Ideen kommen beim Spaziergang zu mir.“
In der Zossener Straße in Berlin Kreuzberg, wo sie wohnt, stieß sie so auf die Idee zu einem ihrer interessantesten Exponate. „These Goddamned Boys All Steeling“ ist ein lebendiges Zeugnis wechselhafter Berliner Geschichte: Es basiert auf einer Peniszeichnung – mehrmals dupliziert und in die Form von Bomberfliegern gebracht. Als Graffito war die Zeichnung bis vor Kurzem ausgerechnet an einer Hauswand angebracht, wo sich in der Weimarer Republik eine Kneipe für schwule Männer, die „Cosy Bar“ befand. Der englische Schriftsteller Christopher Isherwood hat in seinen Schriften die trashige Kreuzberger Schwulenszene dokumentiert.
Der aus dem puritanischen England zum damals für Engländer schwulen Eldorado Berlin emigrierte Isherwood ärgerte sich über stehlende „Jungs“, wonach er den Spruch „These goddamned boys all steeling“ in seine Memoiren schrieb. Kaabi Linke hat aus der Zeichnung und Ischerwoods Aufzeichnungen eine zweiteilige Installation gemacht.
Ob es Zufall war, dass diese alltägliche Zeichnung gerade an diesem Ort angebracht war? „Solche Zufälle machen die Schönheit des Alltags aus. Manchmal denke ich, es gibt keine Zufälle“, meint die Künstlerin.
■ Nadia Kaabi Linke, „Tatort“ in der Galerie Hosp vom 25. September bis 20. November, Invalidenstraße 50–51, Di.–Sa. 11–18 Uhr