London kämpft gegen die dicke Luft

Offiziell wirkt die City-Maut in der britischen Hauptstadt: Der Verkehr nimmt ab und Unfälle werden weniger. Auch das Feinstaubproblem ließe sich mit dem Wegezoll lösen, behauptet Bürgermeister Ken Livingston. Experten sehen das anders

Bürgermeister Livingston: „Wer uns vergiften will,muss bezahlen“

AUS LONDON RALF SOTSCHECK

Der Verkehr fließt besser, Busse sind pünktlicher, und die Geschäfte haben keine Einbußen zu verzeichnen. Das ist das vorläufige Fazit der Londoner City-Maut, die 2003 eingeführt wurde. „Nach all den Jahren der Verkehrsstaus ist Londons Innenstadt wieder in Bewegung“, sagte Bürgermeister Ken Livingston. Der Autoverkehr sei um 15 Prozent reduziert worden, die Staus sogar um 30 Prozent, die Unfallrate um fünf Prozent und der Ausstoß von Feinstaub um zwölf Prozent, sagte Livingston.

So glänzend, wie der Bürgermeister es darstellt, ist die Bilanz jedoch nicht. Während die Verbesserungen beim Verkehrsfluss auf die Staugebühr zurückgeführt werden können, lässt sich das für die Luftverschmutzung durch Feinstaub nicht sagen. Feinstaub ist ein Gemisch von kleinsten Staubteilchen, die einen aerodynamischen Durchmesser von weniger als 10 Mikrometer aufweisen und deshalb auch PM10 („Particulate Matter“) genannt werden. Der Autoverkehr ist Hauptverursacher von Feinstaub. Livingston bezieht sich auf eine Studie der Behörde „Transport for London“.

Die Autoren kamen zwar zu dem Ergebnis, dass die Konzentration von Feinstaub 2004 im Vergleich zum Vorjahr gesunken sei, der Bürgermeister zitierte aber selektiv. Die Studie liefert nämlich auch die Begründung für die Verbesserung: „Ungewöhnliche meteorologische Bedingungen waren für die vielen Tage mit erhöhten PM10-Werten im Jahr 2003 verantwortlich.“ Und es heißt in der Studie auch: „Das Verhalten von Feinstaub deutet nicht auf irgendwelche besonderen Einflüsse der Staugebühr hin.“ Die größere Rolle hätten Filter an Kraftfahrzeugen gespielt.

Ben Barratt von der „Environmental Research Group“ (ERG) am King’s College in London sagt: „Weil die gebührenpflichtige Zone relativ klein ist und wegen all der anderen Einflüsse auf die Londoner Luftqualität, ist es sehr schwierig, die Auswirkungen der Staugebühr einzugrenzen.“ Sein Kollege Gary Fuller glaubt nicht, dass sie bei der Bekämpfung von Feinstaub eine Rolle spielt. „Die durchschnittliche Konzentration von PM10 ist zwischen 1996 und 2004 um 30 Prozent gesunken“, sagt er. „Allerdings wurde diese Reduzierung vor der Jahrhundertwende erreicht.“ Es gebe Anzeichen dafür, dass die „durchschnittliche PM10-Konzentration seit dem Jahr 2000 angestiegen ist.“

Livingston hat weitere Pläne in der Schublade, mit denen er die Luft verbessern will. So sollen Geländewagen mit Allradantrieb, die sogenannten Chelsea-Traktoren, künftig mit einer Staugebühr von umgerechnet 37,50 Euro pro Tag belegt werden. Umweltfreundlichere Autos können dagegen mit einem Rabatt rechnen. Bei ihrer Einführung lag die Staugebühr bei 7,50 Euro, im vorigen Jahr wurde sie auf acht Pfund erhöht. Livingston will die Gebühr langfristig auf fünfzehn Euro erhöhen.

Und auch eine Diesel-Sondersteuer für Lastwagen und Busse ohne Katalysatoren ist im Gespräch. Diesel verursacht zwar weniger Kohlendioxid als Benzin, aber mehr Stickstoffoxid und Feinstaub. „Wenn bestimmte Leute uns weiterhin vergiften wollen, müssen sie für das Privileg bezahlen“, sagte Livingston. „Es ist eine Steuer für Leute, die für einen frühen Tod verantwortlich sind.“ Die Gebühr soll bis zu 300 Euro pro Tag betragen und für den Großraum London gelten. Livingston will London zur „umweltfreundlichsten Stadt der Welt“ machen.

Das „Nationale Bündnis gegen die Staugebühr“ hält von der Staugebühr freilich überhaupt nichts. Kleinere Ladenbesitzer beklagen sich, dass die Geschäfte innerhalb der gebührenpflichtigen Zone stark abgenommen haben: Im Jahr 2004 ging die Zahl der Läden in der City zum ersten Mal in der Geschichte Londons zurück. Für das Unternehmen Capita ist die Staugebühr indes ein voller Erfolg: Es kassiert sie nämlich im Auftrag der Stadtverwaltung. Capita hat gerade Rekordprofite in Höhe von 138,6 Millionen Euro für das erste Halbjahr 2006 vermeldet.