: Dubioser Sieg vitaler Proletarier
THEATER „Ostmark“ von Andrej Stasiuk hatte am vergangenen Wochenende in der Speicherbühne Premiere: derb, komisch, überzogen – und dennoch erhellend
von Andreas Schnell
Drei Waldarbeiter machen Pause. Der eine, der älteste von ihnen, will aber lieber weiterarbeiten: „Wir sind auf Arbeit!“ Der andere, den sie „Kahler“ nennen, lässt sich davon nicht beeindrucken, sondern holt die Wodkaflasche hervor: „Am Arsch sind wir!“ Was anfängt wie ein Witz, nimmt bald eine böse Wendung. Sie werden überwacht. Ihnen droht Abschiebung, Lohndumping. Die Chinesen arbeiten für 2,50 Euro, während die Schnauzbärtigen laut Vertrag 7,50 bekommen. Einer von ihnen zieht allein in den Wald, um Überstunden zu machen. Bald will ihn nämlich seine Ehefrau besuchen, und der will er schließlich etwas bieten. Aber dazu kommt es nicht mehr: Der junge Mann wird von einem Baum erschlagen.
Als seine zwei Kollegen bei ihrem Chef vorsprechen, um ihm von dem Todesfall zu berichten, erfahren wir mehr über die seltsamen Arbeitsverhältnisse: Der Vater besteht zum Beispiel darauf, dass die Männer Schnauzbärte tragen, damit sie wie Arbeiter aus dem Osten aussehen. Diese nicht allein auf die Funktionalität berechnete Vorstellung ist symptomatisch für die West-Familie, die sich in reiner Dekadenz ergeht und in der Flucht in die Vergangenheit, religiöse Riten (die Mutter), seltsam abstraktes Arbeitsethos (der Vater) und Videospiel und Drogen (der Sohn). Dank Organtransplantationen hat der Vater ein Alter von 110 Jahren erreicht, die Mutter ist nur wenige Jahre jünger, der Sohn immerhin erst zarte 78.
Die barbarische Vergangenheit mit Arbeitern aus dem Osten, die in Waggons antransportiert wurden, wird verschämt weggelogen: „Geld wollten sie nicht“, und außerdem habe man ihnen ja erst Zivilisation beigebracht. Schließlich siegt in der Ostmark das vitale Proletariat. Die drei Arbeiter und die frischgebackene Witwe setzen sich an Stelle der Familie, der Sohn als einziges Überbleibsel des alten Regimes hängt sabbernd am Rockzipfel der frischgebackenen Witwe, die sich als Krankenschwester im gleichen unentbehrlich macht, wie sie den Verlust ihres Gatten zu verschmerzen scheint. Die neuen Herren beginnen, ihrerseits ihre Arbeiter zu schikanieren. Das letzte Wort haben die Chinesen: „Leckt uns alle am Arsch!“
Keine Frage: „Ostmark“ von Andrzej Stasiuk, das am vergangenen Wochenende in der Speicherbühne erstmals in Deutschland zu sehen war, spart nicht an Übertreibungen und Derbheiten. Astrid Müllers Inszenierung trägt dem Rechnung, indem sie dem Ensemble Raum gibt für die im Stück angelegte slapstickhafte Überzeichnung der Figuren, die weniger Charaktere als vielmehr Typen sind. Oder Charaktermasken. Denn in „Ostmark“ geht es nicht um persönliche Schicksale, sondern um ökonomische Verhältnisse wie die Konkurrenz zwischen Chinesen und den nicht genau lokalisierten Schnauzbärten, darum, dass im Grunde jeder ersetzbar ist, sofern es die entsprechende Kaufkraft gibt.
Zugegeben: Großes Schauspiel gibt es hier nicht unbedingt zu sehen. Aber das Stück verlangt, wie angedeutet, eben auch nicht nach feinziselierten Charakterstudien. Das Ensemble der Premierenvorstellung, das sich mit einer Zweitbesetzung abwechselt, überzeugte dafür mit viel Spielfreude, wobei nicht zuletzt die beiden alten Herrschaften, Heidrun Felske als Mutter und Gerd Mannaße als Vater überzeugten.
■ Die nächsten Vorstellungen: Samstag (heute) und Sonntag, 20 Uhr, Speicherbühne