: Grüße aus Ruinenland
EXJUGOSLAWIEN Eine ganz normale europäische Region, wie es die Reiseführer verbreiten? Tatsächlich eignet sich der Westbalkan im Jahr 14 nach den Kämpfen in Kroatien und Bosnien für Antikriegs- tourismus
ZORAN, LEBT IN SCHWEDEN
VON RÜDIGER ROSSIG
Das ehemalige Kriegsgebiet beginnt ziemlich abrupt, wenn man die Küstenstraße verlässt und ein paar Kilometer ins Landesinnere fährt. Willkommen in Exjugoslawien. Hier wurden die ersten Barrikaden in den Balkankriegen errichtet. Dann begannen die „ethnischen Säuberungen“: 170.000 nicht serbische Bewohner flohen vor den Kämpfen oder wurden von serbischen Milizen vertrieben. Ihre Häuser wurden zerstört, um eine Rückkehr zu verhindern. Die Kampflinien hin zum nicht besetzten Teil Kroatiens wurden mit über einer Million Landminen „gesichert“. Doch die retteten die Serbische Republik Krajina nicht. Im Sommer 1995 überrannten kroatische Truppen das Gebiet. Wieder flohen Zehntausende. Diesmal vor allem Serben. Bis heute sind wenige wiedergekommen. Die meisten sind Kroaten.
Mile hat die vier Jahre der „serbischen Besatzung“ auf „freiem kroatischem Territorium“ verbracht. Sein Haus, drei Stockwerke mit Gästezimmern inklusive Balkon für die zahlreichen Fernfahrer und Jugoslawientouristen, die bis zum Krieg von der Küste nach Zagreb, Sarajevo oder Belgrad fuhren, war bereits im Herbst 1991 eine Ruine.
Als Mile 1995 zurückkehrte, kaufte er das Gebäude neben seinem zerstörten Haus. Über die ehemaligen Nachbarn, die jetzt in Serbien leben, weiß er: „Die wollen nicht hierher zurückkehren.“ Zuerst haben Mile und seine Familie in dem ehemaligen „serbischen Haus“ gewohnt. Mittlerweile steht daneben wieder ein ansehnliches Gebäude. Die Dörfer links und rechts aber bestehen weiter aus Ruinen. Auf der Landstraße fahren im Sommer nur noch wenige Touristen, im Winter einzig Anwohner und ein paar Trucker. „Jetzt habe ich wieder Gästezimmer, aber es gibt zu wenig Gäste, es lohnt sich kaum“, sagt Mile.
Bosnien und Herzegowina grüßt mit einem überdimensionierten Grenzübergang. Dann führt die frisch asphaltierte Straße an der ersten Moschee vorbei durch heruntergekommene, vom Krieg gezeichnete Ortschaften. Viele Gebäude weisen noch immer Einschusslöcher auf. Eine serbische Fahne heißt in der Republika Srpska willkommen. Sie erinnert daran, dass Bosnien noch immer ein geteiltes Land ist: Neben der serbischen Teilrepublik gibt es die aus zehn jeweils mehrheitlich muslimischen oder kroatischen Kantonen bestehende Föderation Bosnien und Herzegowina. Auf der Landkarte wirkt das wie ein heilloses Kuddelmuddel. Tatsächlich aber besteht das vor dem Krieg durch und durch multinationale Bosnien jetzt aus vielen mononationalen Teilen.
Jajce ist eine erstaunliche Stadt. Mitten durch die von 500 Jahren osmanischer Herrschaft in Bosnien geprägte Altstadt verläuft ein Wasserfall. Unter dem Ort liegen eine mittelalterliche Stadt und eine römische Festung. Leider hat der Krieg von Jajce kaum etwas übrig gelassen. Die meisten der jahrhundertealten osmanischen Häuser gammeln vor sich hin. Kein einziges Café lädt ein. Das vor dem Krieg immer überfüllte Grillrestaurant daneben ist eine Ruine. Warum unternimmt niemand etwas gegen den Zerfall?
„Die internationale Gemeinschaft hat der lokalen Verwaltung zu früh den Wiederaufbau übertragen“, erklärt Zoran. „Die beherrscht die Nationalpartei der Kroaten, die der Muslime ist die Opposition. Und beide blockieren sich gegenseitig.“ Der Mittfünfziger steht vor seinem Auto mit schwedischem Kennzeichen. Zoran ist bosnischer Serbe aus Jajce. Im Jahr 1992, dem ersten Kriegsjahr, „als hier Kroaten und Muslime auf die Serben losgingen“, ging er nach Schweden. In Jajce fielen kurz darauf kroatische und muslimische Verbände übereinander her. Die verbliebene Zivilbevölkerung verließ die Stadt. Ein großer Teil ist bis heute nicht zurückgekehrt. Zoran versuchte es. Bald erfuhr er, dass er in Jajce nicht willkommen war. Das galt nicht nur für Serben: „Den Muslimen ging es nicht viel besser“, sagt Zoran. „Baumaterial und Finanzhilfen kamen nicht oder viel später an als bei den kroatischen Nachbarn.“ Das gehöre zur Taktik der kroatischen Nationalpartei: „Die wollen verhindern, dass Angehörige anderer Nationalitäten zurück nach Jajce kommen. Denn dann würden sie nicht mehr automatisch jede Wahl gewinnen.“
Nach zwei Jahren ging Zoran wieder nach Schweden. Seitdem kommt er ab und zu im Sommer vorbei, „um nach dem Haus zu sehen“. Eine echte Rückkehr nach Bosnien schließt er aus. „Was soll ich hier? Das hier ist nicht mehr das Land, aus dem ich komme. Das ist zerstört worden.“
Entlang der Straße nach Sarajevo stehen zahlreiche neue Moscheen. „Viele alte Gebetshäuser wurden im Krieg zerstört“, sagt Suljo, 45, Elektriker. „Seitdem hat vor allem Saudi-Arabien eine Menge Neubauten finanziert. Aber die sehen nicht aus wie unsere bosnischen Moscheen, sondern wie McDonald’s-Filialen.“ Von den Fassaden bröckelt der Verputz. In der alten osmanischen Festung über der bosnischen Hauptstadt liegt Müll. Die 1992 ausgebrannte Nationalbibliothek ist eine Baustelle. „Bevor die Demokratie eingeführt wurde, konnte man hier Bücher leihen. Schau dir das Gebäude an, dann weißt du, was Demokratie taugt“, kommentiert Suljo bitter.
Vor zwei Jahren erkrankte er schwer. Er verlor seinen für bosnische Verhältnisse hervorragend bezahlten Job am Flughafen. Erst vor einem Monat wurde seine Erwerbsunfähigkeit anerkannt. Dafür gibt es in Bosnien 60 Euro pro Monat. „Das reicht im Winter gerade für die Heizkosten.“
Jetzt können Suljo und seine Frau Jasna sich die private, national integrierte Schule nicht mehr leisten. Ihre beiden Kinder mussten die Schule wechseln. Nun besuchen sie eine der im muslimisch-kroatischen Teil Bosniens verbreiteten „zwei Schulen unter einem Dach“. Dort werden die Kinder nach Herkunftsnationalität unterrichtet. Doch das ist im Falle ihrer Familie schwierig: Suljo ist Muslim, Jasna ist Kroatin. „Die Kinder haben sich am Ende für die muslimische Klasse entschieden“, sagt Jasna. „Jetzt lernen sie in Geschichte, dass 1992 das Volk ihrer Mutter das ihres Vaters angegriffen hat. In der kroatischen Klasse wäre das Gegenteil passiert.“
Das Dorf Galici bei Gornji Vakuf bestand einmal aus zwanzig Häusern. „Heute gibt es neben meinem nur noch ein weiteres Haus“, sagt der Kroate Stjepo. „Aber das ist nicht bewohnt, weil der Besitzer zu seiner Frau ins Tal gezogen ist.“ Was ist in Galici passiert? „Wir waren damals keine zwanzig Jahre alt“, erklärt Stjepo, „und ich war der größte Nationalist von allen.“ Bis Kriegsbeginn hatte er sich nie Gedanken über die Nationalität seiner Schulkameraden gemacht. Im Jahr 1992 jedoch brach eine Welle der Propaganda über Zentralbosnien herein. „Es dauerte nicht lange, bis wir alle davon überzeugt waren, dass uns Serben und Muslime an den Kragen wollen.“
Heute steht auf der Anhöhe am Rande des ehemaligen Dorfs Galici ein mehrere Meter hohes Kreuz. Daneben eine Mauer, auf der die Gesichter von 17 Männern abgebildet sind. Sie sind zwischen 1993 und 1995 gestorben. Militärisch ausgedrückt: gefallen. Der 39-Jährige ist nicht stolz auf seine Taten im Bosnienkrieg. „Wir waren damals sehr jung und unglaublich blöd. Aber wir mussten uns verteidigen. Dass die auf der serbischen und muslimischen Seite genauso blöd waren wie wir, das habe ich erst später kapiert. Und dass wir allesamt von unseren Politikern ausgenutzt wurden, auch.“ Stjepo ist sicher: Die Chefs der nationalen Parteien und Militärverbände haben von Anfang an aus Diebstahl, Schwarzhandel und Wegzöllen Profite gezogen. „Meine Generation durfte die Drecksarbeit machen. Und zum Dank gab’s einen Tritt in den Arsch.“