: Der Penisatlas
Haben heterosexuelle Männer eigentlich die Möglichkeit, ihren Penis mit anderen zu vergleichen – von jugendlichen Experimenten einmal abgesehen? Vielleicht wäre es nicht schlecht, wenn sie per Vergleich mehr Klarheit hätten. Dann wüssten sie vielleicht, dass das, was landläufig in Pornofilmen zu bestaunen ist, das Ergebnis spezieller Castings ist und nicht unbedingt dem Durchschnitt entspricht. Mancher Minderwertigkeitskomplex könnte so behoben werden. Die norwegischen SexualberaterInnen Esben Esther Pirelli Benestad, Ragnhild Dahl Keller, Einar Aakvag und Geneviève Fonteneau Hardeberg haben sich um genau diese verunsicherten Männer gekümmert und verschaffen umfassende Einblicke: 2004 erschien ihr „Penisatlas“ im norwegischen Dinamo Forlag (242 Seiten, www.dinamoforlag.no).
Das Buch enthält informative Texte über Anatomie und Physiologie sowie die Rolle des Penis in Gesellschaft und Geschichte. Wussten Sie zum Beispiel, dass die Muskeln, die beim Onanieren am meisten angestrengt werden, die Ohrmuskeln sind? So stark ist die Angst, in flagranti ertappt zu werden. Hier wird auch von „Koro“ erzählt, der Vorstellung, dass der Penis einfach zurück in den Körper kehren und verschwinden könnte. Was natürlich Quatsch ist.
Nicht alles, was im „Penisatlas“ steht, mag sinnvoll anmuten, unterhaltsam ist die Lektüre aber auf alle Fälle. Und man muss auch nicht Norwegisch sprechen, um zu verstehen, wovon die Rede ist. Der Hauptteil des Buchs besteht nämlich aus Fotos, auf denen ausführlich hundert Penisse von vorne, links und rechts in entspannten wie erregten Positionen vorgestellt werden – streng wissenschaftlich, versteht sich. Voyeure werden etwas enttäuscht sein: Die Fotos in der Art von Musterkarten erinnern doch sehr an polizeiliche Häftlingsaufnahmen. Angeblich hat man einigen Probanden sogar ein Erektionsmittel verabreicht, damit sie unter solch lustarmen Umständen besser durchhielten.
Die nummerierten Norweger-Bilder (die Teilnahme geschah freiwillig) sind in verschiedene Kapitel eingeteilt worden, je nach Länge, Umfang, Richtung und Farbe. Manche Herren sind beschnitten, tätowiert oder rasiert, die meisten aber ohne äußere Beeinflussung. Lustigerweise ist es nicht ganz einfach, das Alter der Männer zu erraten. Untenherum verändert sich der Mann offenbar weniger als im Gesicht. Beklagenswert fanden die Atlas-AutorInnen, dass fast alle Penisse im Buch weißen Männern gehören, obwohl die reale Farbskala von Hellrosa bis Olivbraun verläuft. Skurril auch, dass die Mehrzahl der gründlich kartierten Erektionen, unabhängig von der politischen Einstellung des Besitzers, eher nach links (und nach unten …) tendiert. Ob das nur für Norweger gilt? Eine schöne Ergänzung wäre ein Atlas des weiblichen Geschlechts. Auch dabei könnten Männer sicher noch das eine oder andere lernen. JOHANNA FORSBERG