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Archiv-Artikel

Bergurlaub für Singles

Was Promis können, kann Otto Normalurlauber schon lange: ein Hüttenurlaub in den Schweizer Hochalpen. Einsame Urlaubstage, aber nicht hinterwäldlerisch, mit Alpenglühn und Kühen

Ja, der Preis ist gut, für Schweizer Verhältnisse ein echtes Schnäppchen

VON DIRK ENGELHARDT

Eine einsame Hütte, inmitten unverbrauchter Natur, oben in den Bergen. Fernsehen, Telefon, Strom und fließend Warmwasser muss sie nicht haben, ein Kamin und genug Feuerholz wäre schön. Ob man so etwas im Angebot habe, fragte ich die nette Dame von der Schweizer Tourismusbehörde. „Fragen Sie doch mal im Lötschental nach, dort ist es sehr abgeschieden und die Natur ist wunderbar“, bekam ich zur Auskunft. Abgeschieden mag die Lötschberg-Region sein, im südwestlichen Teil der Alpen zwischen Sion und Brig, eingekesselt von Bergriesen wie dem Breithorn mit 3.785 Metern, dem Sackhorn mit 3.158 Metern und einem weiteren Breithorn, das fünf Meter niedriger als sein Namensvetter ist.

Abgeschieden, aber nicht hinterwäldlerisch: Eine knappe Woche später finde ich in meinem elektronischen Briefkasten eine Nachricht mit einer Auswahl von fünf veritablen Alphütten, die abgeschiedensten. Ich buche die Hütte einer gewissen Ebner, Ida, mit „drei Betten, Küche mit Eckbank, schöner Aussicht auf Bergpanorama mit Liegewiese und See“. Die Hütte liegt auf der Fafleralp am Ende des Lötschentales in 1.795 Meter Höhe, zum nächstgelegenen Dörfchen sind es eine Stunde Fußweg und 250 Meter Höhenunterschied.

Die Ebner-Ida ist zur vereinbarten Zeit der Schlüsselübergabe nicht an der Hütte, der Schlüssel steckt aber außen. Ich könne ruhig drinnen warten, die Ida sei in der „Mass“, sagt ein Nachbar, der mich draußen warten sieht. Drinnen in der Hütte hat sich, was die Ausstattung betrifft, seit Idas Jugend wohl nicht viel verändert: Unter der Wanduhr hängt ein Jesus-Porträt, auf dem sperrigen Doppelbett liegen sauber gefaltet die Betttücher, Wolldecken und Steppdecken, die in den kalten Nächten – trotz Hochsommer – hier noch nötig sein werden.

Ein olfaktorisches Déjà-vu benebelt unterdes meine Sinne: Genau so wie in dieser Hütte hatte es bei meiner Oma Maria in Gerblingerode gerochen, und das letzte Mal war ich dort im Jahr 1974. Jene Mischung aus spiritusgetränkten Ölofenanzündern, Kernseife und Wachstischdecken, die in vielen Häusern dieser Generation für Heimeligkeit sorgt, ergibt jenes markante, einprägsame Duftbild. Accessoires wie der Gekreuzigte über dem Ehebett und das Weihwasserkesselchen neben der Tür fehlen ebenso wenig.

Eine gute Stunde später kommt Ida um die Ecke gebogen, oder besser, ein überdimensionaler knorriger Ast als Krückstockersatz kommt um die Ecke gebogen, in seinem Schatten eine alte Frau mit Kopftuch. Die Einweisung in die Räumlichkeiten ist kurz und sachlich und sogar auf Hochdeutsch. 50 Franken pro Tag soll das Häuschen kosten, zuzüglich Endreinigung. „Schguerd?“, fragt die Ebner-Ida. Ja, der Preis ist gut, für Schweizer Verhältnisse ein echtes Schnäppchen. Als gestresster Stadtmensch will ich mir hier die reine Schweizer Bergluft durch die Lungen pusten lassen, die Stille der Berge soll meine innere Ruhe stärken.

Stille? Die Luft hält zwar, was sie verspricht, doch wenn ich die Augen schließe, fühle ich mich doch stark an das Tosen des Berliner Großstadtverkehrs erinnert. Hier sind es die Wasserfälle, die von der gegenüberliegenden Steilwand krachen, ergänzt vom Gezische des eisigen Wildbachs unten im Tal. Am nächsten Tag wird der Nachbar dazu noch beschließen, seine Hütte zu vergrößern und Beton zu mischen; ein Dieselaggregat wird den ganzen Tag brummen. Akzentuiert wird diese Sinfonie von dumpfen Glockenschlägen, denn das Auslaufgebiet der Kühe beginnt direkt vor meiner Hüttentür, und die schönen Tiere sind den ganzen Tag mit Nahrungsaufnahme beschäftigt, so dass der Hals fast immer in Bewegung ist. Ein frisch aufgeschütteter Erdhügel von der Baustelle vor meiner Hütte hat es einer niedlichen Kuh-Mama angetan. Mit der Schnauze grabbelt sie ein bisschen in die frische, weiche Erde, um sie dann in hohem Bogen umherzuschmeißen. Nach ein paar Würfen dreht sie sich mit listigem Blick zur Bäuerin um, die schon mit einer Mistgabel im Anmarsch ist. Im letzten Moment trabt die Kuh dann davon. Fang mich, ätsch!

Ich habe von morgens bis abends rein gar nichts zu tun und kann mich ausschweifenden Betrachtungen der monumentalen Felsmassive von der Bank vor der Hütte widmen. Die Wetterwechsel mit Morgennebel, Gewitter, Platzregen, knallender Sonne und Alpenglühen gegen Abend sind in dieser Höhe relativ schnell. Am zweiten Tag sticht mir auf einmal eine markante Schweizer Flagge, die direkt unterhalb einer vereisten Steilwand in mindestens 3.000 Meter Höhe aufgehängt ist, ins Auge. Haben Steilwandkletterer die heute aufgehängt, oder war die gestern auch schon da? Selbst im Hochsommer bin ich hier nur kurz unterhalb der Schneegrenze, bis zum nächsten Gletscher sind es zwei Stunden zu Fuß. Das hochalpine Klima schafft paradiesische Voraussetzungen für Pflanzen: „In den Auen dieser Region, die 0,25 Prozent der Fläche der Schweiz ausmachen, gedeihen mehr als 1.500 Pflanzenarten, insgesamt gibt es in der Schweiz 3.000 Pflanzenarten“, ist auf einem Hinweisschild zu lesen. Ein ergiebiges Terrain für Naturfreunde und dazu ein gut gedeckter Tisch für die Kühe.

Ich bleibe vor einer der vor Gesundheit nur so strotzenden schwarzen Kühe stehen, als ein Geländewagen neben mir anhält. Der ältere Einheimische, Hutträger, lässt das Fenster herunter und erklärt mir mit unverhohlenem Stolz, dass diese Kühe die einzige Tierrasse in Europa sei, die bis heute unverändert erhalten ist. Am nächsten Morgen stehen einige Teilzeitbäuerinnen mit Fünf-Liter-Alu-Kanistern an der Haltestelle für den Postbus an der Fafleralp, um die wertvolle Fracht zur Käserei zu bringen. Gemolken wird teils per Hand, teils mit der Maschine, je nachdem, wo sich die Kühe gerade aufhalten.

Der Lötschental-Käse, die heimischen Tomaten, das dunkle Brot und der Schweizer Wein, den ich im Dorfladen kaufe, sind jedenfalls vorzüglich. Genau wie das Essen im „Hotel Fafleralp“, wo es Obstkuchenstücke gibt, die gut und gerne eine Mittagsmahlzeit ersetzen.

Unter all den Wanderprofis mit Stöcken in jeder Hand und Profil-Wanderschuhen bin ich mit Turnschuhen und Sonnenbrille fehl am Platz. Immerhin, so sage ich zu mir, habe ich keine Berge, sondern das karge Hüttenleben erfolgreich bezwungen.

Information: Telefon (08 00) 10 02 00 30, www.myswitzerland.comDie Reise wurde unterstützt von Schweiz Tourismus.