Schwindelfrei um die Hacken

Ikone des Vogueings, Trainer der Supermodels, Queer-Studies-Forschungsobjekt: Willi Ninja ist gestorben. Ein Nachruf

Mit den Hüften schwingen, die Knie werfen, schwindelfrei um die Hacken rotieren: Jedes Mal, wenn sich irgendwo auf der Welt eine Frau lasziv bewegen möchte und dabei an Naomi Campbell oder Paris Hilton denkt, hat sie eigentlich ihn vor Augen: Willi Ninja. 1961 als William R. Leake in New York geboren, brachte sich Ninja in den Siebzigerjahren effektvolles Laufstegschreiten selbst bei, indem er Stunden vor den Betamax-Bildschirmen des Luxuskaufhauses Bloomingdale’s stand und sein Lieblingsmodel Iman beobachtete. Der Laufstegtrainer, der den Gören von „America’s Next Top Model“ auf die Highheels hilft – das war das Bild von Willi Ninja, das in den USA zuletzt die Öffentlichkeit beherrschte.

Tatsächlich spielte sich der weitaus größere Teil seines Lebens abseits etablierter Glamour-Routen ab: In der von Afroamerikanern und Latinos gebildeten New Yorker Ballroom-Community und ihrem aus sogenannten Houses bestehenden System schwuler Ersatzfamilien galt Ninja schon in den Achtzigerjahren als Ikone. Gesegnet mit einem spektakulär biegsamen Körper entwickelte er damals „New Way“, einen revolutionären Stil des Vogueing-Tanzes. Unterlegt von Disco-Breaks, kombinierte er das statische Nachahmen von Modelposen mit Kampfkunst-Figuren und Akrobatik-Einlagen. Ninja war nicht nur ein begnadeter Tänzer: Den meist aus armen Verhältnissen stammenden Mitgliedern des von ihm gegründeten „House of Ninja“ galt er als „Mother“ – als moralische Orientierungsfigur und Seelsorger.

Ninja war einer der wenigen Protagonisten der Ballroom-Szene, der Karriere machte: Malcolm McLaren sicherte sich 1989 seine Choreografie-Talente für das Video „Deep in Vogue“. Dieses wiederum inspirierte ein Jahr später Madonna zu ihrem Hit „Vogue“, der noch in den letzten Dorfdiscos aus dem Vogueing entliehene, für den Hausgebrauch vereinfachte Armwedelfiguren popularisierte.

Außerdem war Ninja der Star von Jennie Livingstons in den Ballrooms von Harlem gedrehtem Dokumentarfilm „Paris Is Burning“. Sogar Judith Butler interessierte sich daraufhin für die in „Paris Is Burning“ vorgeführte Appropriation und Subversion traditioneller Geschlechtercodes. So wurde Ninja immer wieder von den Gender-Studies-Fachbereichen amerikanischer Universitäten zu Vorträgen eingeladen.

Das Herumgejettetwerden, die Bussibussi-Visiten im Backstagebereich von Modenschauen: Die Insignien des VIP-Lebens blieben für Willi Ninja letztlich wertlos. Reichtum konnte er mit seiner Tanz- und Bewegungs-Kunst nie anhäufen. Auch zuletzt lebte er noch mit seiner an den Rollstuhl gefesselten Mutter in einem einfachen Apartment im New Yorker Immigranten-Stadtteil Flushing, Queens. An der Entwicklung einer Musicalversion von „Paris Is Burning“ konnte er nicht mehr mitwirken: Willi Ninja starb letzte Woche 45-jährig an den Folgen von Aids. Er hinterlässt die etwa zweihundert „Children“ seines mittlerweile in ganz Nordamerika verzweigten „House of Ninja“ sowie seine Mutter Esther Leake. JAN KEDVES