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Archiv-Artikel

Viel Energie in der Leere

Ein Konglomerat zahlloser Textebenen, die verzwickt ineinandergeschachtelt sind, und ein Autor, der sich gern mit seinem Romanpersonal unterhält: Ernst-Wilhelm Händlers eine Idee zu trickreicher neuer Roman „Die Frau des Schriftstellers“

VON SEBASTIAN DOMSCH

Ernst-Wilhelm Händler ist ein Schriftsteller, den man nicht abwertend kritisieren kann, ohne einen nagenden Zweifel zu verspüren. Der bayerische Unternehmer ist längst ein literarisches Schwergewicht, sein Spezialgebiet, zumindest auf dem Gebiet der Literatur, sind Übernahmen, Aneignungen, unausgesprochene zweite Bedeutungsebenen. Seine bienenfleißige Textmaschine zitiert nicht einfach in klassisch postmoderner Weise, sie assimiliert Literatur, seien das Geschichten, Figuren oder auch Sprachstile, amalgamiert sie mit dem eigenen Schreiben, so dass am Ende nicht mehr klar ist, wer wen kopiert, wer wen schluckt. Im Roman „Fall“ (1997) vermengte er Elemente von Thomas Bernhard, Gert Hofmann und Paul Wühr mit einem Familienbetriebskrimi, in seinem vorletzten und von der Kritik gefeierten Roman „Wenn wir sterben“ imitierte er gar die Stimmen einer ganzen Generation von Schriftstellerkollegen in seiner Anatomie der modernen Wirtschaft. Wenn man also nun nach der Lektüre seines neuesten Romans „Die Frau des Schriftstellers“ irritiert, verärgert und ermüdet zu einer geharnischten Kritik ansetzen möchte, wird man erst einmal die Stimme im Hinterkopf nicht los, die fragt: „Was hast du übersehen? Wo ist der Trick?“

Gehen wir also einmal die Möglichkeiten durch. Da gibt es natürlich die Anschlussstellen zum übrigen Werk Händlers sowie zu anderen Texten. Bernhard’sche Figuren und Orte etwa, die Händler bereits in seinem ersten Buch, der Erzählsammlung „Stadt mit Häusern“, verwendet hatte. Seine Figur Tonio Pototsching ist der Enkel des gleichnamigen Hausmeisters von Alberto Giacometti, dessen Leiche den Bildhauer faszinierte. Und so weiter. Das ist für Händler nichts wirklich Neues, ein nettes Spiel, trägt aber für sich allein noch nicht diesen Roman. Auch das Wirtschaftsthema, mit dem der Insider Händler bisher auf originelle Weise eine Marktlücke der deutschsprachigen Gegenwartsprosa gefüllt hatte, taucht hier eher am Rande auf. „Die Frau des Schriftstellers“ ist vor allem ein Buch über Literatur, über Literaten, die wirtschaftliche Seite kommt nur vor in Form von Lektoren, Agenten und Verlegern. Das klingt nach Schlüsselroman, und tatsächlich unterliegen gerade unangenehme Ähnlichkeiten des Romanpersonals mit lebenden oder verstorbenen Personen mehrmals im Deutungswillen des Betrachters. Für echtes Skandalpotenzial mit Option auf gerichtliche Auseinandersetzung scheint es nicht ganz zu reichen, doch wer weiß.

Die grundlegende Story von Händlers Roman ist, wenn auch etwas abstrus, relativ simpel. Der Ich-Erzähler, ein mäßig erfolgreicher Schriftsteller, soll das Manuskript des Bestsellerautors Tonio Pototsching fertig schreiben. Ironie der Sache: Pototsching schreibt über die Kindheit des Ich-Erzählers, eignet sich dessen Biografie als Material für das eigene Schreiben an, was im Roman zur existenziellen Bedrohung, zum Vernichtungsversuch der eigenen Identität überhöht wird. Natürlich macht der Erzähler nur mit, weil er sich in Laura, die Freundin Pototschings, unsterblich verliebt. Weitere sinistre Gestalten am Rande sind der mächtige Verleger Guggeis, der taubstumme Literaturagent La Trémoïlle und Lauras Zwillingsschwester Lisa.

Was mit sehr viel Münchner Lokalkolorit beginnt, mit feinsinnigen Beschreibungen der zwischenmenschlichen Mechanismen im Schumann’s oder im Polo Shop auf der Maximilianstraße, verliert sich allerdings in seitenlangen philosophischen und poetologischen Reflexionen von derartiger Allgemeingültigkeit und Absolutheit, dass genauso gut ihr Gegenteil wahr sein könnte. Eine Satire auf die deutsche Neigung zum Abstrakten? Oder ein weiteres Beispiel dieser Neigung? „Der Raum der Erinnerung ist nicht identisch mit dem Raum der Perspektive, die durch den Blick des sich Erinnernden gegeben ist. Die Perspektive stellt einen Raum her, der sich dem Raum der Erinnerung lediglich annähert. Der Raum der Erinnerung entsteht durch die Fähigkeit von Vorstellungen, sich selbst zu verräumlichen, durch die Beweglichkeit von Linien, die in die Tiefe führen, und durch die mit Energie aufgeladene Leere zwischen ihnen.“ Aha.

Darüber hinaus greift Händler ganz tief in die Kiste mit dem metafiktionalen Formenrepertoire der Postmoderne. „Die Frau des Schriftstellers“ ist ein Konglomerat zahlloser Textebenen, die er so verzwickt ineinanderschachtelt, dass ihre Beziehungen zueinander unklar werden. Neben der Erzählung des Protagonisten gibt es Zusammenfassungen und längere Zitate aus den unterschiedlichen Werken und Manuskripten vom Erzähler, von Laura oder Pototsching, es gibt nie abgeschickte Briefe, lyrische Einschübe und einmal die 424 Namen der Angst, die Fredd Culbertson im Internet zusammengetragen hat und die schon einmal zwei Seiten eines großen Feuilletons gefüllt haben.

Bald überkreuzen sich die Ebenen, der Autor unterhält sich mit seinen Romanfiguren, und überhaupt ist man sich selten sicher, ob eine Handlung wirklich stattfindet oder nur in der Vorstellung einer der Figuren. So wie man auch immer weniger sicher ist, mit wie viel Figuren man es eigentlich wirklich zu tun hat. Das beginnt beim angeblichen und ununterscheidbaren Zwillingspaar Laura und Lisa, die man nie zusammen an einem Ort zu sehen bekommt, aber es geht weiter bis zum Erzähler und seinem Rivalen Pototsching. Mit dem mehrfach durchgespielten Doppelgängermotiv hat sich Händler dann endgültig von der Postmoderne zur romantischen Poetik zurückgearbeitet, ohne dass sich daraus etwas Wesentliches ergeben würde.

Es mangelt also ganz offensichtlich nicht an Formwillen, an Komplexität und Gedankentiefe, an Schlüsselromanhaftem, an anspruchsvollen Zutaten und schriftstellerischer Pyrotechnik. Woran es mangelt, ist ein vernünftiger Roman. Vielleicht gibt es den Trick ja gar nicht. Oder: Es gibt nicht den einen, sondern zu viele Tricks. Ernst-Wilhelm Händler zu lesen, war noch nie besonders entspannend, aber anders als seine früheren Werke ermüdet „Die Frau des Schriftstellers“, ohne zu faszinieren, ist dunkel, ohne zu erhellen.

Ernst-Wilhelm Händler: „Die Frau des Schriftstellers“. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt 2006, 640 S., 25 Euro