: Abstraktes Nürnberg zum Spielen
DIE MEISTERSINGER Andreas Homoki eröffnet die Saison an der Komischen Oper mit der Richard-Wagner-Inszenierung „Die Meistersinger von Nürnberg“: Kein Spektakel auf der Bühne, aber ein Lehrstück über die Musik
VON NIKLAUS HABLÜTZEL
Wann immer die Diskussion über die Berliner Opernhäuser neu entbrennt, einigen sich die Meisterpolitiker von Berlin stets darauf, dass sich die Komische Oper nicht mit Richard Wagner zu beschäftigen habe. Die nur noch amtierende Intendantin der Deutschen Oper rechtfertigt den Betrieb damit, dass es gebaut worden sei, um Wagners mythische Monster auch in Berlin aufführen zu können. Die Staatsoper musste sich bisher mit elektroakustischer Hallverstärkung behelfen, aber sie hat mit Daniel Barenboim den besten Wagner-Dirigenten der Gegenwart.
Andreas Homoki dürfte an seiner Komischen Oper dieser Rechnung nach höchstens „Hans Sachs“ von Albert Lortzing aufführen. Stattdessen hat er Richard Wagners „Meistersinger von Nürnberg“ neu inszeniert. Das ist ungefähr derselbe Stoff, in dem romantisch verklärte, mittelalterliche Handwerker um die Wette dichten, aber die Musik ist eben nicht braver Lortzing, sondern echter Wagner und in diesem Fall ganz besonders schwer belastet durch die fatale Rezeption durch die Nazis, die sich an den finalen Verszeilen über die „heil’ge deutsche Kunst“ berauschten.
Doppeltes Statement
Unpolitisch ist Wagner nie und in Homokis Version schon gar nicht. Sie ist ein doppeltes politisches Statement, sowohl zum Profil seines Hauses wie auch zu Wagners Werk. Wer nach den großen Erfolgen der letzten Jahre erwartet hatte, die Komische Oper werde ihre schwächere musikalische Ausstattung durch spektakuläre Theaterregie ausgleichen, wird zunächst enttäuscht. Wenig geschieht auf der Bühne, die vollgestellt ist mit grauen Papphäuschen. Sie sehen aus, als seien sie aus einem Bastelbogen ausgeschnitten und gefaltet. Fenster haben sie keine, aber Türen, in denen Spielfiguren verschwinden können und sich in immer neuen Perspektiven auf engen Gässchen und Plätzen herumschieben lassen.
Ein abstraktes Nürnberg zum Spielen also, ohne Spitzbogen, aber mit Raum für Sänger und Chor in Kostümen, die eher die proletarische Romantik von Arbeitern des 19. Jahrhunderts in Erinnerung rufen als das Mittelalter Wagners. Eine Referenz an die jüngste Geschichte des Hauses, in dem Harry Kupfer auch schon mal „Die Meistersinger“ gewagt hatte, aber das Stück scheint in dieser reduzierten Optik auf der Stelle zu treten. Kein einziger szenischer Einfall mag sich der offenkundigen dramaturgischen Mängel des Textes erbarmen. Die nur wegen ihrer Umständlichkeit unfreiwillig komische Handlung schleppt sich endlos dahin – die Aufführung dauert volle sechs Stunden.
Erst wenn der schlimme Schlusschor überstanden ist, die deutschen Meister geehrt sind, und die deutsche Kunst heilig ist, erst dann stellt man erstaunt fest, dass dieses fast handlungslose Theater so langweilig gar nicht war, wie es schien. Die Qualität von Homokis Regie zeigt sich erst auf den zweiten Blick. Gerade dieser sonst so skandalöse Schluss löst sich wie von selbst auf. Die bösen Zeilen sind in Wirklichkeit nichts als ein lächelnder Rückblick des dichtenden Schusters Hans Sachs auf die Mühe, die es ihn gekostet hat, das verliebte Singen dieses wilden jungen Ritters Walther von Stolzing in eine vernünftige Form zu bringen. Denn nur darum ging es ja auch Richard Wagner: Seine zweitletzte Oper war nie ein Theater, sondern eine schwierige, zuweilen sogar selbstkritische Abhandlung über den Zusammenhang von Gefühl, Form und Tradition.
Homokis kluger Verzicht auf die Bühnenschau zwingt zum Zuhören, und diese Anstrengung, die man allerdings auf sich nehmen muss, wird reich belohnt von dem jungen, soeben erst zum Chefdirigenten ernannten Patrick Lange, der Erstaunliches leistet. Zu hören nämlich ist nicht der Wagner, den man zu kennen glaubt, sondern ein leises Stück Musik, das sehr lange Zeit braucht, sich selbst zu finden. Wagner hat den „Ring“ und den „Tristan“ schon hinter sich, diese triumphalen Verkündigungen des Neuen, und sucht jetzt den Anschluss an die Vergangenheit, an die Polyphonie eines Bach etwa, an Choräle, aber auch an Zeitgenossen – manchmal klingt sogar ein wenig Offenbach mit hinein.
Musikalische Motive sind nicht mehr nur Leitmotive für Analphabeten, sondern Kerne von Entwicklungen und Experimenten. Sänger, Chor und Orchester folgen dem Dirigenten geradezu neugierig in alle Winkel dieser Werkstatt, in der vor allem musikalische Fragen gestellt und weniger Antworten hinausposaunt werden. Das erst ist der Wagner, den man unbedingt aufführen muss, und die großen Berliner Schwestern, die sich dazu eher berufen fühlen, müssen sich von nun an gewaltig anstrengen, mit der Komischen Oper mitzuhalten.
■ Nächste Aufführungen: 2. Oktober., 9. Oktober