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Archiv-Artikel

Frieden mit der Polizei

taz-Serie „Was ist links?“ (Teil 4 und Schluss): In Fragen innerer Sicherheit sind sich SPD, PDS und Grüne weitgehend einig. Gelobt wird vor allem die Bürgerrechtspolitik von Innensenator Körting

VON PLUTONIA PLARRE

Heutzutage sind die Cartoons, mit denen der Zeichner Gerhard Seyfried Anfang der 80er-Jahre sein Publikum erheiterte, kaum noch zu verstehen. Dickbäuchige Polizisten, die mit gezogenem Knüppel und Funkgerät voller Elan gegen langmähnige Freaks vorgehen, dabei aber stets den Kürzeren ziehen. In den Hoch-Zeiten der Hausbesetzerbewegung indes charakterisierten diese Zeichnungen trefflich die Befindlichkeit von Teilen der Bevölkerung in der Mauerstadt West-Berlin. Die Undogmatische Linke und die Polizei, Bullen genannt, befehdeten sich aufs heftigste.

Das blieb auch nach der Wende so. Der so genannte Repressionsapparat war fest in CDU-Hand. Deren Innensenatoren Dieter Heckelmann, Jörg Schönbohm und Eckart Werthebach heizten die Situation mit unnachgiebiger Härte an. Jedes Jahr am 1. Mai kam es in Kreuzberg zum Show-down zwischen Polizisten und Anhängern der linken Politszene. Zurück blieben ein zertrümmerter Kiez und zahlreiche Verletzte auf beiden Seiten. „Deeskalation war bis 2001 ein Unwort“, erinnert sich der grüne Sicherheitsexperte Wolfgang Wieland.

Im Sommer 2001 zerbrach die große Koalition an der Bankenaffäre. Seither regiert eine linke Mehrheit die Stadt. Zuständig für das Innenressort ist seither der Jurist und frühere Landesverfassungsrichter Ehrhart Körting (SPD). Mit einem differenzierten Deeskalationskonzept haben es SPD und PDS inzwischen weitgehend geschafft, den 1. Mai zu befrieden. Die Polizeibehörde ist abgespeckt und auf dem besten Wege, zu einer dialogorientierten, bürgerfreundlichen Einrichtung zu werden. Die Kriminalitätsstatistik 2005 weist die niedrigsten Zahlen seit 13 Jahren auf. Was will man mehr?

Das linke Parteienlager – abgesehen von der WASG – ist mit der Arbeit des Innensenators zufrieden. „Wir haben eine Menge Übereinstimmung mit Körting“, gibt Wieland offen zu. „Er macht weitgehend eine linke Sicherheitspolitik.“ Beeindruckt hat Wieland nicht zuletzt, dass Rot-Rot auf Antrag der Grünen die Schleierfahndung abgeschafft hat. „Dazu nach dem 11. September 2001 den Mut zu haben, ist schon ziemlich einmalig.“

Linke Sicherheitspolitik? „Die gibt es nicht“, verwahrt sich Körting gegen eine derartige Etikettierung. „Sicherheit“, sagt er, „bedeutet für mich, Sicherheit für die Menschen, aber auch Gewährleistung von Freiräumen, die das Grundgesetz dem einzelnen Bürger gewährt.“

Der SPD-Innensenator ein politisches Neutrum? Alles Tarnung, ist Frank Henkel, innenpolitischer Sprecher und Generalsekretär der CDU, überzeugt: „Körting kam von ganz links. Jetzt gibt er den Schwarzen Sheriff in der rot-roten Koalition.“ Die linke Sicherheitspolitik, mit der Körting & Co in Henkels Augen seit fünf Jahren Unheil über die Stadt bringen, beschreibt der CDU-Mann so: wegschauen, verharmlosen, Kuschelpädagogik. Immer weniger Polizei auf den Straßen, Suchtgefährdung durch Cannabisfreigabe, Verhinderung von Videoüberwachung an Kriminalitätsschwerpunkten. Wenn Henkel überhaupt noch einen Unterschied zwischen SPD, PDS und Grünen sieht, dann, dass die SPD vielleicht nicht ein ganz so distanziertes Verhältnis zur Polizei hat wie die anderen. „Ansonsten besteht aber völlige geistige Übereinstimmung.“

In der Tat: Die Unterschiede in der Sicherheitspolitik von SPD, PDS und Grünen sind so klein, dass sie kaum noch auszumachen sind. Nach den gescheiterten Kofferbombenanschlägen in Nordrhein-Westfalen waren sich die drei Parteien einig, gefährdete Orte wie Bahnhöfe in Berlin videoüberwachen zu lassen. Im Unterschied zu den anderen Parteien treten die Grünen für die Aufhebung der Berliner Bannmeile und die Sicherstellung der Demonstrationsfreiheit bei Staatsbesuchen ein. Dann gibt es da noch die grüne Forderung nach individueller Kennzeichnung der Polizei, die Rot-Rot mehr als halbherzig umgesetzt hat. Auch in der Frage der Entkriminalisierung des Cannabiskonsums wollte die kleine Oppositionspartei mehr als SPD und PDS.

„Die entscheidenden Dinge“, sagt die innenpolitische Sprecherin der PDS, Marion Seelig, „haben wir aber gemacht.“ Den einzigen Unterschied, den sie noch zu den Grünen sieht, ist der: „Die Grünen fordern immer nur. Wir lassen Taten folgen.“

Dem Urgestein der Berliner Grünen, Christian Ströbele, gelingt es dennoch, einen Unterschied zwischen Grünen und PDS beim Thema Sicherheit auszumachen. Dafür muss er aber die Historie bemühen: Die Sicherheitspolitik der aus der Bürgerrechtsbewegung kommenden Grünen sei von den Erfahrungen der linken Geschichte geprägt: „der staatlichen Repression, die sich immer wieder gegen Linke gewandt hat“. Daraus resultiere ein tiefes Misstrauen gegenüber staatlichen Eingriffen in Bürgerrechte. „Bei der PDS“, so Ströbele, „vermisse ich eine ähnliche Tradition.“

„Wir sind das einzige Bundesland, das auch in schwierigen Zeiten der Terrorbedrohung Augenmaß bewiesen hat“, sagt Seelig. Die Haltung der PDS in allen Ehren: Wer über linke Sicherheitspolitik in Berlin reflektiert, kommt nicht an Körting vorbei. „Dass eine SPD an der Regierung ein Bürgerrechtsprogramm macht, ist keineswegs selbstverständlich“, verweist Wolfgang Wieland auf die schlechten Erfahrungen mit Otto Schily als Bundesinnenminister. Deshalb hebt Wieland auch warnend den Zeigefinger: „Bei der SPD ist immer von einer Rückfallgefahr auszugehen.“ Und mit Körtings Flüchtlingspolitik sind die Grünen überhaupt nicht einverstanden: „Da werden Familien auseinandergerissen und zu sehr Prinzipien exekutiert.“

Bleibt die Frage nach der Sicherheitspolitik der WASG. „Dass man Menschen vor allem soziale Sicherheit gibt“, sagt der aus der Antifa kommende Michael Kronawitter, der früher die Revolutionäre 1. Mai-Demonstration in Kreuzberg angemeldet hat. Der Frage, was er als Innensenator konkret anders machen würde, weicht er in bester Politikermanier aus. „Die größte Terrorgefahr sehe ich nach wie vor im Rassismus und Staatsterrorismus“, lautet die Antwort.