: Der Inszenierer
AUS BERLIN MATTHIAS LOHRE
Niemand schießt ein Foto von dem Mann im Maßanzug. Doch das stört ihn nicht. André Schmitz, der stets edel gewandete Leiter der Berliner Senatskanzlei, steht auf einer Empore im Roten Rathaus. Fünf Meter unter ihm, auf der imposanten Eingangstreppe, posiert Klaus Wowereit, Hausherr und Schmitz’ Chef. Den Regierenden Bürgermeister umringt eine ausgelassene Grundschüler-Schar, Pressefotografen knipsen. Bilder mit Kindern machen sich im Wahlkampf besonders gut. Schmitz sieht sich die Szenerie nur wenige Minuten an, dann geht er zurück in sein großes Büro. Für derart harmlose Inszenierungen braucht Wowereit seinen Senatskanzleichef nicht. Für vieles andere schon.
Wo im Kaiserreich die Berliner Oberbürgermeister regierten, liegt heute André Schmitz’ Büro. Zwischen preußischem Pomp und DDR-Inneneinrichtung der Fünfzigerjahre steht sein Schreibtisch. Von hier aus bringt der 49-Jährige bockige Referatsleiter auf Linie und sorgt dafür, dass die wöchentlichen Senatssitzungen möglichst reibungslos über die Bühne gehen. „Meine Hauptaufgabe“, sagt Schmitz in den hohen Raum hinein, „besteht darin, dem Regierenden so gut wie möglich zuzuarbeiten. Es darf kein Sand im Getriebe sein.“ Das klingt nach einem spröden Techniker der Macht. Einem, der seinem Chef stumm Akten in die Hand drückt. Doch dieses Bild wird Schmitz nicht gerecht. Der ehemalige Theatermann ist ein Meister der stillen Inszenierung. Schmitz sorgt seit fünf Jahren dafür, dass niemand dem Hauptdarsteller Klaus Wowereit die Show stiehlt.
Als 2001 Berlins schwarz-rote Koalition nach zehn zähen Jahren platzte, brauchte der neue Regierungschef einen Chef für die Schaltzentrale der Macht, und zwar schnell. Der neue starke Mann der Berliner Politik rief seinen alten Freund André Schmitz an. „Du hast bis heute Abend Zeit, dich zu entscheiden“, sagte Wowereit in den Hörer.
Die beiden Kulturliebhaber kannten sich zwar seit Jahren. Doch mit der Entscheidung für Schmitz hatten nur wenige gerechnet. Zwar ist Schmitz gelernter Jurist und scheint damit für die Politik wie gemacht. Auch war der gebürtige Oberhausener bis 1990 persönlicher Referent des Hamburger Kultursenators Ingo von Münch. Aber von ausgeprägten politischen Talenten war bis dahin keine Rede.
Der beim Vater in der Hansestadt Aufgewachsene liebt das Theater. Erst war er Verwaltungsdirektor in der Provinz, am piefigen Stadttheater Hildesheim. Von 1992 an sanierte er in gleicher Funktion binnen fünf Jahren die Finanzen der Experimentierbühne der Nachwendezeit – der Volksbühne in Berlin. Intendant Frank Castorf machte das Theater zum Zentrum der sprudelnden neuen Theaterszene im Osten Berlins. Mittendrin: der distinguierte Schmitz. Danach wechselte er erneut die Richtung. Schmitz ging zur Deutschen Oper, dem verstaubten Vorzeigehaus des Westberliner Bürgertums. Nach dem Tod des Intendanten Götz Friedrich im Jahr 2000 trat Schmitz, der Jurist und Mann fürs Geld, sogar ein halbes Jahr lang an dessen Stelle. Irgendwann in dieser Zeit lernten Wowereit und Schmitz einander kennen. Der eine war Haushaltspolitiker mit Hang zur Kultur, der andere Haushälter der Künste mit Hang zur Politik. Die beiden ergänzten sich.
Wowereit stammt aus einfachen Verhältnissen, hat sein ganzes Leben in Berlin verbracht. Großbürger Schmitz zeigt seinen hanseatischen Chic bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit. Als er an der Volksbühne arbeitete, fiel Schmitz unter den zerzausten Künstlern regelmäßig auf, als einziger schritt er regelmäßig in Anzug und Krawatte durchs Szenetheater. Sein ganzes Äußeres ist typisch hanseatisch: die gut sitzenden Anzüge, die rotblonden gescheitelten Haare, das freundliche, aber distanzierte Auftreten – Understatement.
Als Wowereits Zuneigung für die PDS viele Parteiförderer verschreckte, warb der Bildungsbürger Schmitz mit einem Lächeln um ihre Rückkehr. Auch mit FDP- und CDU-Abgeordneten versteht sich Schmitz blendend. In seinem Job ist kein klares Freund-Feind-Denken gefragt, sondern Vermittlungsfähigkeit. Die geht seinem Chef ab, der hinter verschlossenen Türen gern die Ellenbogen ausfährt.
Gerade der fehlende SPD-Stallgeruch machte Schmitz für Wowereit zur ersten Wahl. Es gab genug Parteifreunde, die es mit Senatoren- und Staatssekretärsposten zu beglücken galt. Zumindest mit der Auswahl seines kulturliebenden Adlatus wollte Wowereit zeigen, dass er es ernst meinte mit dem versprochenen „Mentalitätswechsel“. Der „Quereinsteiger in die Politik“, wie Schmitz sich selbst nennt, musste keine Rücksichten auf alte Seilschaften nehmen, als bald nach seinem Amtsantritt Köpfe rollten.
In nur acht Monaten prügelten Berlin und Brandenburg im Jahr 2002 den Staatsvertrag durch, der die umstrittene Verschmelzung der öffentlich-rechtlichen Sender SFB und ORB zum Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) besiegelte. Chefunterhändler auf Berliner Seite war André Schmitz. Überhaupt: der Bürokratieabbau. Berlins Senats- und Bezirksverwaltungen haben in den vergangenen fünf Jahren zigtausende Stellen im öffentlichen Dienst gestrichen. Mitverantwortlich dafür ist der Behördenchef im Roten Rathaus. Ohne André Schmitz hätte Wowereit dieses Hauptziel der ablaufenden Legislaturperiode vermutlich nicht erreicht.
Nach der Abgeordnetenhauswahl am 17. September könnte er dafür belohnt werden. „In meinem jetzigen Job“, sagt Schmitz, „macht Kultur höchstens fünf Prozent der Arbeit aus.“ Dass er das gern ändern würde, ist in der Hauptstadt ein offenes Geheimnis.
Bereits vor fünf Jahren war der Kunstfreund als Kultursenator im Gespräch. Zunächst ging das Prestigeressort jedoch an die Grünen, seit 2002 besetzt der PDS-Mann Thomas Flierl den Posten. Doch der, einst Mitarbeiter im DDR-Kulturministerium, ist in der Berliner SPD verhasst. Die Genossen wollen nicht, dass ihnen ein Ex-SED-Mitglied vorschreibt, wie Berlin seiner früheren Teilung gedenkt. Hinzu kommt ein möglicher Koalitionswechsel nach dem 17. September, weg von Rot-Rot, hin zu Rot-Grün. Der Job des Kultursenators könnte bald frei für Schmitz sein.
Kultursenator in Berlin zu sein ist kein normaler Landespolitikerjob. Hier geht es um Entscheidungen, die deutschlandweit Beachtung finden. Und immer um die Frage: Wie repräsentiert Berlin das Land? Beispielsweise, wenn die Planung einer Gedenkstätte am einstigen Sitz des Reichssicherheitshauptamtes wieder einmal im Zuständigkeitschaos versinkt. Oder bei der Frage, wo die 10 Millionen Euro des Hauptstadtkulturfonds am besten aufgehoben sind – bei Off- oder Hochkultur? Bei kleinen Theaterprojekten oder den drei kostspieligen Opern?
Adrienne Goehler, unter Rot-Grün im Jahr 2001 kurze Zeit selbst Senatorin für Kultur und Wissenschaft, graust es beim Gedanken an einen möglichen Nach-Nachfolger André Schmitz. Sie fürchtet das Verschwinden des eigenständigen Kulturressorts und seine Eingliederung unters Dach des Roten Rathauses. Ein Senatorenposten ist für sie unerlässlich, um der Kultur eine kräftige Stimme in der Regierung zu geben, aber „als Rathaus-Anhängsel müsste die Kultur ständig schön, bunt und glänzend sein“, meint Goehler. „Permanent müsste sie darauf achten, den Regierenden Bürgermeister nicht zu stören.“
André Schmitz als Sachwalter konservativer, pflegeleichter Vorzeigekultur? Tatsächlich ist Schmitz eher mit gediegenen Lesungen im imposanten Rathaussaal hervorgetreten. Über Interesse für innovative Kulturprojekte, die den Ruhm Berlins als Kunstmetropole mehren, ist von ihm wenig bekannt. Goehler sagt es so: „Schmitz’ Kulturverständnis, das ist der schöne Schein von Flanell mit passendem Einstecktuch.“
Versöhnlicher klingt das Urteil eines Mannes, der durchaus Grund hat, Schmitz’ Karrierepläne kritisch zu sehen. Der Berliner Linkspartei-Fraktionschef Stefan Liebich sorgt sich, dass Schmitz dem Sozialisten Flierl das Kulturressort entreißen könnte. Aber zum Polittaktiker Schmitz fällt ihm vor allem Lob ein. Als „sehr freundlich, höflich und kompetent“ bezeichnet Liebich den Mann im Roten Rathaus. „Schmitz ist sehr loyal, drängt sich nicht in den Vordergrund. Selbst, wenn seine Meinungen denen Wowereits entgegenstehen, verkauft er die Meinung seines Chefs mit Charme“, sagt der Frontmann des kleineren Koalitionspartners.
Schmitz, bloßer Exekutor seines Chefs? Vielleicht ist dieses Image das Beste, was Wowereits rechter Hand passieren kann: Er wird unterschätzt. Dem Regierenden Bürgermeister erging es bekanntlich ähnlich. Dessen Aussichten stehen bestens, auch in den kommenden fünf Jahren Berlin zu regieren. Falls Wowereit danach Karriere in der Bundespolitik macht, hätte Schmitz gute Chancen, ihm zu folgen.
Als das Gespräch zu Ende ist und Schmitz seinen Besucher durch die restaurierten Räume des Rathauses führt, erzählt er noch eine Anekdote. Eine kleine Geschichte über Ziele, Kunst und sein Verhältnis zu Klaus Wowereit. In einem leeren Festsaal hängen Arbeiter gerade ein monumentales Ölgemälde Anton von Werners auf. „Berliner Kongress“ aus dem Jahr 1881: Staatsmänner in glänzender Uniform, mit dem „ehrlichen Makler“ Otto von Bismarck im Zentrum. Sehr staatstragend, eigentlich nicht Wowereits Geschmack. Bis 1945 hing es schon einmal hier, über Jahrzehnte blieb die Wand kahl. „Ich machte dem Regierenden drei Vorschläge, was wir dorthin hängen könnten“, sagt Schmitz leise. „Ein schlichtes Landschaftsbild, ein sehr abstraktes modernes Gemälde – und den ‚Berliner Kongress‘. Ich hatte nicht erwartet, dass er das Letzte nehmen würde.“ Dann lächelt er, denn Wowereit nahm es. Wie Schmitz es gewollt hatte.