piwik no script img

Archiv-Artikel

Die Schlacht um die Köpfe

KRIMKRISE Wer in Russland fernsieht, kann sich der Indoktrination durch Putins Propagandastrategen kaum noch entziehen. Ihre Lügen sind mehr als eine redigierte Fassung der Realität und spalten ein ganzes Land

Perfide: Wer die Propagandalügen zu entkräften versucht, verleiht der Fiktion erst Wahrheitsgehalt

AUS MOSKAU KLAUS-HELGE DONATH

Die Sätze der Moderatoren peitschen wie Salven aus einem Maschinengewehr. Sie müssen sitzen und sollen treffen. Russlands TV-Sender simulieren seit Wochen den Kriegszustand mit der Ukraine. Moskaus Gehirnwäsche verfängt aber nicht nur beim eigenen Volk, auch die westliche Öffentlichkeit zeigt sich für Manipulationen des Geheimdienstes anfällig. Der Einmarsch auf der Krim schrumpft zu einem Akt der Selbstverteidigung.

Russlands Gesellschaft ist nach drei Monaten Dauerbeschuss gespaltener denn je. Ein Heer von Hurrapatrioten steht Kräften gegenüber, die vor Krieg und Annexion der Krim warnen. Seit den Ereignissen in der Ukraine senden die Abendnachrichten eine halbe Stunde länger. Wer fernsieht, kann sich der Indoktrination kaum noch entziehen. Die Risse verlaufen wie schon zu Zeiten des Diktators Stalin mitten durch die Familien. „Meine Frau ist plötzlich zu einem Putin-Fan geworden und sieht überall US-Agenten. Ich glaube, sie hält auch mich für einen“, schrieb ein User im Netz.

Kurz vor dem widerrechtlichen Referendum auf der Krim suggerieren Sondersendungen größte Gefahr fürs Vaterland. Eine Stunde lang wird von der Raketenluftabwehr rund um Moskau berichtet – in einer Tonlage, die jede Nachfrage verbietet. Zwischendurch tauchen Uniformierte auf, die mit tragbaren Flugabwehrraketen hantieren, angeblich aus US-Beständen, angeblich ukrainische Faschisten. Keine Namen, keine Orte, keine Zeitangaben. Nicht ein einziger Fakt, der sich prüfen ließe.

Das ist auch nicht mehr der Auftrag, seit Dmitri Kiseljow im Dezember zum Chef der neuen Agitationsbehörde Rossija Segodnja berufen wurde. Nur was dem Vaterland diene, sei auch guter Journalismus. Objektivität stehe für ein irreführendes westliches Konzept, teilte er den Journalisten bei Amtsübernahme sinngemäß mit. Der Chefin des Fernsehsenders Russia Today (RT) wurden bereits häufig Falschinformation nachgewiesen. RT hatte von Hunderttausenden Ukrainern berichtet, die nach Russland fliehen wollten, aber Menschen gezeigt, die an der Grenze zu Polen standen. Vor zwei Wochen teilte eine Moderatorin vor laufender Kamera mit, nicht weiter Lügen verbreiten zu wollen. Ihre Aufgabe sei es, ein positives Russlandbild und russische Interessen zu vermitteln, sagte RT-Chefredakteurin Margarita Simonjan.

Fehler und Widersprüche fechten die Strategen nicht an. Denn die Propaganda ist keine redigierte Fassung von Realität, sondern das Drehbuch fürs weitere Vorgehen. Mit dem Einmarsch auf der Krim versuchte Russland eine explosive Situation herbeizuführen, sodass neue Fakten geschaffen werden können. Verliehe die russische Intervention ukrainischen Nationalisten Auftrieb, würde sich Moskaus Propaganda von den „Faschisten in Kiew“ im Rückblick als wahr erweisen und das Handeln rechtfertigen. Moskaus Kalkül: je absurder die Propaganda, desto wirksamer.

Schon in der Sowjetunion verschwammen Realität und Zukunft. Nicht selten wurde dem angestrebten Paradies höherer Wirklichkeitsgehalt beigemessen als dem bescheidenen unentrinnbaren Sein. Das Perfide ist: Wer die Propagandalügen mit Argumenten und Fakten zu entkräften versucht, verleiht der Fiktion erst Wahrheitsgehalt. Mit diesem Mechanismus arbeitete schon der sowjetische Geheimdienst erfolgreich.

So schickte Moskau Truppen auch auf die Krim, um der russischen Mehrheit das Recht zu sichern, Russisch zu sprechen. Bisher gab es dort aber nur eine einzige Grundschule, in der Ukrainisch Unterrichtssprache war. Wer Ukrainisch spricht, hat es schwer auf der Krim.

Auch ukrainische Faschisten, vor denen die russische Streitmacht die Krim schützen soll, sind bisher auf der Halbinsel nicht gesichtet worden. Sie wären auch schwer von dem Mob zu unterscheiden, der die „Selbstverteidigung“ der Insel übernommen hat.