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Archiv-Artikel

Nur bei Sturm ins Museum

Im Waldkindergarten lernen Kinder nicht nur, wie sie in und mit der Natur zurecht kommen. Das ständige Draußensein regt die Phantasie an, ist gesund – und gut für die Konzentrationsfähigkeit

„Wo haben Kinder noch die Ruhe, Löcher in die Luft zu starren?“

VON ANGELIKA STAUB

Der Kindergarten ohne Dach und Wände umfasst 26 Hektar: eine riesige Wiese, eine überdimensional große Sandkuhle und natürlich Wälder. Nur der blaue Bauwagen unweit des Parkplatzes verrät Uneingeweihten die Existenz des Waldkindergartens am Forstbotanischen Garten im Süden von Köln. Der Bauwagen gehört zu den behördlichen Auflagen, denn deutsche Waldkindergärten müssen eine beheizbare Unterkunft vorweisen. Bei gewöhnlicher Wetterlage dient das „Kindergartengebäude“ lediglich als Ausgangspunkt zu täglichen Exkursionen ins große Spielareal. Ziehen die Kinder mit ihrem pädagogischen Erwachsenen-Trio von dannen, ist der gelbe Bollerwagen immer mit dabei. Er transportiert Werkzeuge, Seile, kleine Sitzmatten und Regenplane. Täglich ziehen ihn zwei andere Kinder.

Die Aufgaben sind klar verteilt und die Rituale vielzählig. „Sie geben den Kindern Sicherheit und Orientierung, in einem Kindergarten außerhalb begrenzter Räume“, sagt Leiterin Monika Krämer. Sie arbeitete 17 Jahre lang in Hauskindergärten, bis ihr die Räume dort zu eng wurden. Was also lag für die ausgebildete Naturpädagogin näher, als zu einem Waldkindergarten zu wechseln? Aus Skandinavien stammt die Idee der Natur- und Waldkindergärten. Von Ella Flautau, einer dänischen Mutter. Zunächst war sie häufig nur mit ihren eigenen Kindern in den Wald gezogen. Schnell aber schlossen sich andere Eltern und Kinder an.

Das war in den 1950er Jahren. Der erste Wald- und Naturkindergarten Deutschlands wurde dann 1968 in Wiesbaden gegründet. Er lag in privaten Händen und sollte vergeblich auf seine staatliche Genehmigung hoffen. Diese gab es erstmals in Flensburg 1993. Mittlerweile wird die Zahl der deutschen „Frischluft-Kindergärten“ auf über 400 geschätzt. Und jährlich werden es mehr.

Der Waldkindergarten am südlichen Stadtrand von Köln wird vom Verein „Waldstrolche am Forstbotanischen Garten“ unterhalten und seine 15 Plätze hauptsächlich von öffentlichen Geldern unterstützt. Den Rest schultern die Eltern über ihre Vereinsmitgliedschaft, zuzahlen müssen sie nur einen geringen Beitrag. Die Einrichtung ist beliebt, die Warteliste lang. Zu lang. So hatte der Vereinsvorstand bereits vor drei Jahren um die Genehmigung einer zweiten Gruppe gebeten. Doch die bürokratischen Mühlen von Land und Stadt mahlen wieder einmal langsam und bisher ohne erwähnenswerten Erfolg. Die kleinen Waldstrolche selbst stört das wenig. Um ehrlich zu sein: Gar nicht. Unbekümmert schleppen sie täglich unzählige Äste herbei, bauen U-Boote, Festungen und Höhlen. Sie beobachten Würmer auf ihrer langen Reise durch die Welt und lauschen gebannt den Worten ihrer Erzieherinnen über die Gewohnheiten der Bäume.

Auch Klettern kommt bei den Kleinen gut an. Am liebsten in den Seilen, die ihre erwachsenen Begleiterinnen, egal an welchem der neun „Spielplätze“, raffiniert zwischen den Bäumen befestigen. In grenzenloser Vielfalt liegen den Waldkindern die Spielmöglichkeiten zu Füßen.

Und natürlich gibt es auch Rückzugsmöglichkeiten. „Wo haben Kinder noch die Ruhe, Löcher in die Luft zu starren, außer hier im Wald?“, fragt Krämer. Die Leiterin des dreiköpfigen Teams sieht ihre Rolle zumeist als stille Beobachterin, die aber, wenn nötig, auch Impulse gibt – Nestwärme inklusive. „Wir geben aber nicht vor, was die Kinder zu lernen oder zu interessieren hat.“ Die Kleinen sollen die Natur selbst entdecken und begreifen. Wenngleich auch das Grün seine Tücken hat: „Ab Windstärke sechs wird es draußen zu gefährlich. Dann machen wir zum Beispiel einen Ausflug ins Museum“, erzählt Krämer. Bei Regen hingegen bietet die Plane aus dem Bollerwagen – sie wird zwischen Bäumen aufgespannt – ausreichend Schutz.

Um die Gesundheit ihrer Schützlinge braucht sich Krämer wahrlich nicht zu sorgen. Sie seien, gesundheitlich betrachtet, „kompakt“. Kinderkrankheiten, Gewichtsprobleme und Haltungsschäden klingen in den Ohren der Naturpädagogen eher wie Fremdwörter. Studien bescheinigen den Kindern von Waldkindergärten gar ein geringeres Risiko zur Sucht. Die weit verbreiteten Behauptungen, „Waldkinder“ könnten nicht still sitzen oder mit der Schere umgehen, hält Krämer für ein Gerücht. Im Gegenteil: Aus den Rodenkirchener Schulen hat sie erfahren, dass die Waldkinder sogar aufmerksamer und konzentrierter als andere Kinder seien.

Fünf Jahre gibt es den Kölner Kindergarten abseits der Großstadthektik schon. Die „erste Waldstrolchen-Generation“ ist längst entlassen. Der Vorstand aber wartet weiterhin auf jenen Brief, der der Erweiterung endlich grünes Licht signalisiert. Mit ihm warten auch 70 Kinder und ihre Eltern. Immerhin kam kürzlich andere, ebenfalls erfreuliche Post. Die Waldkinder dürfen künftig eine Stunde länger am Forstbotanischen Garten herumtoben. Immerhin bis 14 Uhr.