: „Wir sind wieder mitten im Klischee“
Der Krieg hat engagierte Filmemacher im Libanon dazu verleitet, in die Propagandafalle zu tappen, sagt Hania Mroué. Während des Kriegs organisierte sie Vorführungen für Flüchtlinge in ihrem Kino, jetzt veranstaltet sie dort ein Festival
taz: Frau Mroué, wie hat sich das gesellschaftliche Klima in Beirut verändert nach dem Krieg, von dem viele sagen, die Hisbollah hätte ihn gewonnen? Kann man noch sagen, was man will?
Hania Mroué: Ja, diese Frage macht mir persönlich große Angst. Ich glaube nicht an einen Sieg: Man kann doch nicht von Sieg sprechen, wenn man sich das Land anschaut, die Zahl der Opfer und die vielen Familien, die Angehörige verloren haben. Viele Leute spüren, dass sie ihren Platz in der Gesellschaft verloren haben, ihre Arbeit oder viel Geld. Sicherlich werden auch unsere Arbeitsbedingungen nun wesentlich schwieriger sein als vor dem Krieg. Aber ob die Tatsache, dass sich die Hisbollah als Sieger betrachtet, dabei eine Rolle spielen wird, glaube ich nicht.
Ihr Programmkino „Metropolis“ wurde am 11. Juli in Beirut eröffnet: Just einen Tag bevor der Krieg begann.
Ja, wir hatten für die Eröffnung eigens 14 Filme direkt vom Festival aus Cannes bekommen. Einen Tag nach der Eröffnung begann schon der Krieg, und am 13. Juli wurde es schon so schlimm, dass wir aufhören mussten. Ich dachte nur, das war’s jetzt mit dem Kino. Zwei Tage später fragte mich ein Techniker, ob seine Eltern, die ihr Haus in der südlichen Vorstadt von Beirut verloren hatten, im Kino unterkommen könnten. Danach zogen immer mehr Flüchtlinge ein, und nach vier, fünf Tagen übernachteten dort 60 bis 65 Personen.
Sie haben ihnen nicht nur Unterkunft gewährt, oder?
Nein. Nach einer Woche fand ich, wir können nicht den ganzen Tag fernsehen, wir müssten etwas machen, das Leben müsse weitergehen. Also begannen wir, Filme für die Flüchtlinge zu zeigen, und zusammen mit zwei anderen Organisationen haben wir eine Art Sommerferienlager für die Kinder organisiert. Zunächst war dieses Programm nur für die Kinder gedacht, die im Kino wohnten. Aber bald schon kamen jeden Tag über 100 Kinder aus dem ganzen Viertel zu uns, um zu malen, Filme zu sehen oder an unseren Theater- oder Musikworkshops teilzunehmen. Abends habe ich die 14 Filme aus Cannes gezeigt, und danach manchmal DVDs. Für manche Flüchtlinge und ihre Kinder war es das erste Mal in ihrem Leben, dass sie einen Kinosaal betraten. Wir hatten sehr spannende Diskussionen mit diesen Leuten. Ich habe Lust, daran anzuknüpfen.
Sie haben Dokumentarfilme und Autorenkino gezeigt. Hat das diese Leute angesprochen?
Manche Leute glauben, das sei ein Kino für eine intellektuelle Elite. Ich bin da anderer Meinung. Denn diese Elite ist nur dadurch entstanden, weil sie etwas entdecken konnte, wozu andere nicht die Gelegenheit haben. Durch die Auseinandersetzung mit diesem Kino wird man zur Elite, zum Intellektuellen oder was weiß ich. Und unter diesen jungen Leuten, die bei uns waren, waren einige jedenfalls viel sensibler als manche so genannten Cineasten, die ich so kenne.
Trotz der Kriegsnachwehen wollen Sie in dieser Woche ein Festival veranstalten. Wie muss man sich das vorstellen?
Wir werden 20 bis 30 Filme zeigen und haben alle Regisseure eingeladen, die sich zu kommen trauen. Alle anderen laden wir ein, einen Brief oder ein Video zu schicken. Während des Krieges haben wir Videobriefe produziert, die zwei libanesische Filmemacher an die internationale Gemeinschaft gerichtet haben (s. www.beirutletters.org). Die werden wir zeigen, und eine Podiumsdiskussion zum Thema „Kino und Krieg“ ist geplant.
Eine zweites Podium soll sich um die Grenze zwischen engagiertem Kino und Propagandakino drehen. Bis zu welchem Punkt kann man gehen, ohne in die Propagandafalle zu tappen?
War das auch in diesem Krieg ein Problem?
Natürlich. Ich kenne viele Regisseure, die vielleicht gar nicht merken, dass sie gerade Propaganda gemacht haben. Das verstehe ich gut: Sie hatten das Bedürfnis, von diesem schrecklichen Angriff auf das Land zu sprechen und die Leute anzuklagen, die für diese Zerstörung verantwortlich sind. Sie haben kurze Videoclips gemacht, die auf verschiedenen Fernsehsendern gezeigt wurden. Aber als Filmemacher müssen sie sich irgendwann die Frage stellen: Spiegelt das wirklich unsere ganze Sicht der Dinge wider? Oder werden diese Filme später einmal veraltet sein, weil sie einem ganz bestimmten Kontext entsprangen?
Ein Filmemacher muss also Abstand wahren?
Wenn Kino als Werkzeug, Waffe oder Medium gebraucht wird, dann wird es zur Propaganda. Kino ist aber Kunst. Das ist nicht nur eine Frage des Abstands. Ich will nicht sagen, dass engagierte Filme kein Kino seien. Aber man kann damit sehr leicht in Propagandaklischees abrutschen.
Welche Rolle spielen Klischees, wenn europäische Sponsoren für einen arabischen Film gesucht werden?
Nach diesem Krieg sind wir wieder mitten im Klischee und brauchen ein wenig Zeit, um da rauszukommen. Sehen Sie: Um Hilfe zu bekommen, muss ich darüber sprechen, was ich während des Krieges gemacht habe, wie wir die Flüchtlinge unterstützt haben. Aber ich will das nicht verkaufen: Ich habe es für mein Land getan, für diese Leute und vor allem für mich selbst – um mich nicht ohnmächtig und deprimiert zu fühlen. Deshalb habe ich keine Lust, das jetzt den Europäern zu verkaufen, um dafür Geld zu bekommen. Aber gleichzeitig bin ich auf finanzielle Hilfe angewiesen und sage mir: Wenn ich den Leuten nicht erzähle, was ich gemacht habe – warum sollten sie mir Geld geben, um weiterzumachen?
Welchen Einfluss hat die Zensur auf Ihre Arbeit?
Wir müssen jeden Film der Zensur vorlegen. Zweimal wurde von uns verlangt, einzelne Szenen rauszuschneiden, woraufhin wir uns an die betroffenen Regisseure, Produzenten und den Vertrieb gewandt haben und ihnen mitgeteilt haben, dass wir ihren Film leider nicht im Libanon zeigen können. Denn ein Film besteht nicht aus seinen Einzelteilen, sondern bildet eine künstlerische Einheit.
Sonst gibt es aber nicht so viele Probleme. Wenn ein Film intelligent gemacht ist und nicht gerade vom ägyptischen oder vom syrischen Präsidenten handelt, dann geht er durch. Die Zensoren sagen: Wenn wir alles zulassen würden, dann begänne in wenigen Tagen wieder der Bürgerkrieg. Sie hätten gerne, dass wir ihre Arbeit tun, und sagen mir, ich solle bitte keine Filme mit Sexszenen oder politischen Themen auswählen. Aber ich habe ihnen gesagt: Ihr seid die Zensur, nicht ich. Ich werde euch nicht das Leben leichter machen.
INTERVIEW: ANNE FRANÇOISE WEBER