portrait : Erster Rabbiner vom deutschen Kolleg
Sage wenig, aber tue viel und empfange jeden Menschen freundlich.“ Diesen Satz von Pirkej Awot aus den Sprüchen der Väter hat Daniel Alter für seine bevorstehende Ordination zu einem der ersten drei wieder in Deutschland ausgebildeten Rabbiner gewählt. 64 Jahre nach Schließung der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums in Berlin durch die Nationalsozialisten findet heute in der Dresdner Synagoge der weltweit beachtete Akt statt. Alter freut sich einerseits über die Aufmerksamkeit, will das Ereignis andererseits aber nicht überbewerten. Von einer „Normalisierung“ des jüdischen Lebens in Deutschland, wie sie der verstorbene Präsident des Zentralrates der Juden, Paul Spiegel, stets wünschte, sei man noch weit entfernt.
Neben Alter werden ein tschechischer und ein südafrikanischer Absolvent des Berliner Abraham-Geiger-Kollegs ordiniert. Seinen Ordinationsspruch begründet er mit dem notwendigen Kontrast zu einem „schnellen und viel zu oft lauten und lautsprecherischen Zeitgeist“. Das Wahre, Schöne und Gute benötige keine großen Worte. Diese Haltung passt zu seiner sympathisch zurückhaltenden, aber entschlossen wirkenden Erscheinung. Der intelligent, klar und souverän formulierende Mann besitzt als ältester der drei Kandidaten einige Lebenserfahrung. Die 47 Jahre sieht man dem künftigen Rabbiner nicht an, der verheiratet ist und zwei Töchter hat. Über seine Eltern, die den Holocaust überlebten, spricht er öffentlich nicht gern. Die Familie teile die große Freude über seine Ordination.
Für Alter ist es ein Höhepunkt seines Engagements im deutschen Judentum. Das Studium der Judaistik und der Pädagogik an der Hochschule für jüdische Studien in Heidelberg schloss er mit dem Magister artium ab. Danach war er im Rahmen des jüdischen Bildungsprogramms für die in Deutschland stationierten US-Streitkräfte tätig. Längere Zeit fungierte er als Bundesjugendleiter der zionistischen Jugendbewegung, bevor er als Lehrer ans Jüdische Gymnasium in Berlin wechselte. 2001 entschloss er sich, das Studium am kurz zuvor eröffneten Geiger-Kolleg aufzunehmen. Im Vorjahr endete das abschließende obligatorische Israel-Jahr mit einem Aufenthalt in Jerusalem.
Seither arbeitete Alter am Ort seiner künftigen Anstellung in den Gemeinden Delmenhorst und Oldenburg als Rabbinerstudent. Ob die heutige Ordination ein positives Signal setzen könne, hänge von der Entwicklung der Gesellschaft insgesamt ab, sagt er. Das Verhalten der großen Mehrheit bei der Fußball-WM gebe – nach befürchteten No-go-Areas – ein ermutigendes Zeichen. MICHAEL BARTSCH