: Ungewollter Lehrernachwuchs
REFERENDARIAT Bayern streicht Lehrerstellen. JunglehrerInnen bekommen Absagen oder Zeitverträge. An Ausreise in östliche Bundesländer, die Lehrer suchen, denken sie jedoch nicht
DANIEL SCHINDLER, LEHRAMTSANWÄRTER
AUS MÜNCHEN LAURA GOUDKAMP
Samstagnachmittag in München: Begleitet von den ersten warmen Sonnenstrahlen des Frühlings bahnt sich ein Strom von Demonstrierenden einen Weg vom Maxmonument, hinter dem sich der bayerische Landtag erhebt, zum Kultusministerium am Odeonsplatz. Unter den rund 600 Protestierenden sind vor allem Referendare. Die Lehramtsanwärter sind wütend.
Anfang Januar war bekannt geworden, dass von den 800 Referendaren, die dieses Jahr in Bayern mit ihrer Ausbildung fertig geworden sind, nur rund 170 eine feste Stelle an einer Schule bekommen. Für viele ein Schock.
Unter den Demonstranten ist auch der 27-jährige Markus Pilster, der die Aktion „Bewegung in Bildung“ über eine Facebook-Gruppe mit initiiert hat. Er hat Englisch und Geschichte für das Lehramt am Gymnasium studiert und machte sich bei einem Schnitt von 1,6 durchaus Hoffnung auf eine Festanstellung beim Staat. „Als ich mein Studium begann, waren die Aussichten gut. Lehrer brauche man immer, hieß es. Mit dem Wissen im Hinterkopf habe ich dann guten Gewissens studiert.“ Nach sechs Jahren Studium kassiert der Junglehrer jetzt aber eine Absage nach der anderen.
Die Situation zeichnete sich ab
Die Kinderzahl sinkt – in Bayern und bundesweit. Den Bevölkerungsprognosen des Statistischen Bundesamts zufolge werden 2020 bundesweit eine Million Schüler weniger zur Schule gehen als 2006.
Die Konferenz der Kultusminister warnt vor einer Lehrerschwemme: Bis 2020 wird es 10.050 Lehrer geben, die über Bedarf ausgebildet wurden. Nur in den sogenannten MINT-Fächern, also Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik, haben Lehramtsanwärter noch gute Aussichten. Und in den neuen Bundesländern: Die haben bereits Ende der 90er Jahre Schulen geschlossen und Stellen abgebaut und finden nun nicht mehr genügend Nachwuchspädagogen.
Im bayerischen Kultusministerium versteht man die Entrüstung der Demonstrierenden vor der eigenen Haustür daher nicht. Das Ministerium veröffentliche jedes Jahr, wie viele Lehrer in den verschiedenen Schularten und Fächerkombinationen voraussichtlich gebraucht werden. „Bei Fächerkombinationen mit Sprachen war schon lange bekannt, dass der Bedarf mittel- und langfristig zurückgehen wird“, sagt Pressesprecher Henning Gießen.
Besonders schwierig ist der Berufseinstieg in Bayern zurzeit für angehende Lehrkräfte für Gymnasium und Realschule. Junglehrer hangeln sich jetzt von Zeitvertrag zu Zeitvertrag, unterrichten fachfremd und an Schulen, für die sie gar nicht ausgebildet sind. Der 28-jährige Daniel Schindler hat Deutsch und Sozialkunde auf Realschullehramt studiert und arbeitet zurzeit an einer Grund- und Hauptschule für Hörgeschädigte. Sein Vertrag endet mit Beginn der Sommerferien und er muss sich, wie viele andere ehemalige Kommilitonen, für die Ferienzeit arbeitslos melden. Zum neuen Schuljahr unterschreibt er den nächsten Vertrag – an derselben Schule.
Die Pädagogen werfen dem Freistaat vor, statt auf ausgebildete Lehrer bewusst auf Referendare und Lehrkräfte mit Zeitverträgen zu setzen, um Geld einzusparen.
Referendare wie Pilster und Schindler berichten aus ihrem Schulalltag, dass die Schulen die maximal erlaubte Unterrichtszeit von 17 Stunden im Referendariat von Anfang an einkalkulieren. Damit unterrichten Referendare fast so viel wie Vollzeitlehrer.
Mehr Lehrer für kleinere Klassen
Die versammelte Menge vor dem Kultusministerium in München ist sich einig: In Bayern herrscht eigentlich Lehrermangel. Man müsste mehr Lehrer einstellen, um die Klassen zu verkleinern, so die Forderung der Lehramtsanwärter. „30 Schüler oder mehr sind immer noch die Regel“, meint Schindler. Wie er bezweifeln viele der aufgebrachten LehrerInnen, dass Bayern seine ehrgeizigen Ziele verwirklichen kann, die Ganztagsschulen auszubauen und den gemeinsamen Unterricht behinderter und nichtbehinderter Kinder flächendeckend zu ermöglichen.
Bayern habe bereits massiv in Bildung investiert, meint dagegen Ministeriumssprecher Gießen. Zwischen 2008 und 2013 seien über 5.000 neue Lehrerstellen in allen Schularten geschaffen worden. „Berichte über Unterrichtsausfälle, die sich in der Winterzeit aufgrund von vermehrten Krankheitsfällen häufen können, verzerren vielleicht etwas den Blick.“
Um die Situation der Referendare zu entschärfen, überlegt das Kultusministerium nun, den Zugang zum Referendariat, wie in anderen Bundesländern üblich. zu beschränken.
Die Empfehlung des Ministeriums, in andere Bundesländer abzuwandern, kommt bei den bayerischen Referendaren nicht gut an. Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg haben gerade bundesweit Stellenanzeigen geschaltet, auch in Berlin ist der Lehrerarbeitsmarkt leergefegt. „Dass da keiner hin will, hat schon seinen Grund“, meint Schindler sarkastisch. Die Berliner Schüler gelten als schwierig und die Bezahlung in den neuen Bundesländern sei bei Weitem nicht so gut wie im Freistaat.