: Erdogan reitet gegen Rom
Der türkische Premier attackiert den Papst so scharf, weil er sich im Kampf ums Präsidentenamt befindet. Islamische Führer äußern sich da viel moderater
AUS ISTANBUL DILEK ZAPTCIOGLU
Ist es die Aufgabe des Ministerpräsidenten, auf den Papst zu antworten? Diese Frage stellte gestern der Kolumnist Fatih Altayli stellvertretend für viele Türken im Massenblatt Sabah: „Tayyip Erdogan mag ein Islamist sein, aber als säkularer Politiker der Türkei hat er sich nicht gegen den Papst zu ereifern.“ Das genau hatte Erdogan am Wochenende gemacht, als er sagte, die Worte des Papstes seien „abstoßend“ und erforderten unbedingt eine Entschuldigung. Einem Journalisten, der wissen wollte, ob der Papst unter diesen Umständen noch seinen geplanten Türkeibesuch Ende November antreten sollte, antwortete der türkische Premier mit einem Schulterzucken: „Das weiß ich nicht.“
Völliges Chaos herrscht mal wieder in der Regierung des „moderat islamistischen“ Ministerpräsidenten. Während er sich wie ein Religionsmann aus dem Fenster hängte und vom Papst unbedingt einen Kniefall zu erzwingen versuchte, reagierte der Präsident des Religionsamts, Ali Bardakoglu, ganz besonnen. Der habilitierte Theologe hatte die päpstlichen Worte zwar ebenfalls kritisiert, aber auch gut verstanden. Bardakoglu nahm am Wochenende die Entschuldigung Ratzingers an und rief die Muslime in aller Welt, aber vor allem die türkischen daheim und in Europa dazu auf, „rational zu denken und zu handeln“. Es sei zwar ein Fehler gewesen, dieses Scharfmacherzitat aus der Zeit der Belagerung Konstantinopels im 15. Jahrhundert zu wiederholen, aber Joseph Ratzinger sei eben nicht unfehlbar und dass er nun sein Bedauern darüber ausdrückt, sei „nur zu begrüßen“.
Schließlich meldete sich Außenminister Abdullah Gül gestern kurz vor seiner Abreise zur UN-Vollversammlung nach New York zu Wort. „Aus unserer Sicht stellt sich die Frage nach Änderungen an dem geplanten Papstbesuch in keiner Weise“, sagte er. Zugleich kam heraus, dass er am Wochenende sogar einen persönlichen Brief an den Vatikan geschickt hatte, in dem er den Papst ausdrücklich darum bat, seine Reise nicht zu verschieben, weil „der interreligiöse Dialog so wichtig für alle Beteiligten“ ist.
Wenn nur der interministerielle Dialog im Kabinett besser klappen würde. Der Grund für den ungewöhnlichen Affront gegen den Papst ist nicht nur der Inhalt seiner Regensburger Rede, sondern schlicht der politische Wahlkampf in Ankara, der schon auf Hochtouren läuft. Zwar stehen die allgemeinen Wahlen erst im Herbst 2007 an, aber im April, also in einem guten halben Jahr will sich Erdogan noch mit seiner Mehrheit im Parlament zum Staatspräsidenten wählen lassen. Diese Idee behagt dem Militär und dem jetzigen Präsidenten sowie großen Teilen der städtisch-säkularen Türkei überhaupt nicht – bedeutet sie doch, dass ein Islamist samt verhüllter „First Lady“ das höchste Amt des Staats bekleiden wird. Um Widerstände aus dem Weg zu räumen, setzt Erdogan jetzt immer mehr auf die nationalistische Stimmung im Land. Das hat er auch nötig, denn laut einer letzten Umfrage ist seine Zustimmung im Volk in den letzten 12 Monaten von 45 auf 23 Prozent gefallen.
Zum unheiligen Wahlkampf Erdogans gehört also eine ordentliche Kritik am Papst, der in Istanbul auch noch den griechisch-orthodoxen Patriarchen Bartholomäus besuchen wird. Dieser will sich durch Ratzinger aufwerten lassen: Vor allem die slawischen Kirchen erkennen den Führungsanspruch des Istanbuler Patriarchen innerhalb der orthodoxen Religionsgemeinschaft nicht an. Die Unterstützung für das Patriarchat ist immer ein Politikum im Vatikan und war im Kalten Krieg ein wichtiges Instrument des Westens gegen die Sowjetunion.
Den Schwenk nach rechts rundet Erdogan heute mit der Schirmherrschaft über eine anatolische Veranstaltung ab, die 1993 von der rechtsextremen Partei der „Grauen Wölfe“ (MHP) ins Leben gerufen worden war. Der 10. Türkenrat, der heute in Antalya beginnt, bringt alle Pantürkisten zusammen. Dass Erdogan die seit fünf Jahren vor sich hindämmernde Veranstaltung wieder erweckt und mit 700.000 Dollar aus dem staatlichen PR-Fonds finanziert, zeigt, wohin der Wind weht: Ganz opportunistisch gen Osten statt nach Europa. Es ist nicht auszuschließen, dass Erdogan den Ball noch einmal ins päpstliche Tor zu schießen versucht.