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Archiv-Artikel

Emanzipation durch Ästhetik

SCHAUSPIEL Dass der Theaterbetrieb über behinderte Schauspieler diskutiert, ist ihr Verdienst. Seit 25 Jahren leitet Gisela Höhne das Theater RambaZamba

Denn ja, von den starken Persönlichkeiten der Spieler lebt RambaZamba

VON SIMONE KAEMPF

Seit fast 25 Jahren sorgt Gisela Höhne mit ihrem Berliner Theater RambaZamba dafür, dass geistig behinderte Schauspieler als Künstler ernst genommen werden. Als im vergangenen Jahr zum Theatertreffen mit dem am Schweizer Theater Hora entstandenen Stück „Disabled Theatre“ erstmals eine Inszenierung eingeladen war, in der ausschließlich lern- und geistig behinderte Schauspieler auf der Bühne standen, löste das viele Diskussionen über die Repräsentanz behinderter Schauspieler aus. Jeder Performer stellt sich in der Inszenierung von Jérôme Bel mit Namen und Behinderung vor, tanzt dann ein selbstentwickeltes Solo. Dieses scheinbar simple Konzept führte dazu, dass man sich als Zuschauer ertappt fühlte und fragen musste, wie voyeuristisch der eigene Blick eigentlich ist.

Dass diese Diskussion den regulären Theaterbetrieb erfasst hat, ist genau das, wofür sich Höhne seit Langem einsetzt: über Theater mit Behinderten in ästhetischen Kategorien zu denken. Die Inszenierungen als Kunst, nicht als Sozialtherapie zu betrachten, etwas, was sich seit den 70er Jahren in den Zuschauerköpfen festgesetzt hat.

Gegen dieses gängige Bild hat Höhne geschickt angearbeitet. Als sie und ihr damaliger Mann Klaus Erforth, in der DDR ein bekannter Theaterregisseur und Vater ihres behinderten Sohnes Moritz, die erste Inszenierung planten, ließen sie all ihre Beziehungen spielen, „wir wollten nicht irgendwo in einem Kulturhaus inszenieren, das Ganze sollte mit Opulenz auf die Bühne kommen“. Die Premiere von „Prinz Weichherz“ fand im Deutschen Theater Berlin statt. Der Erfolg war für alle Beteiligten eine Überraschung und ermutigte, ein eigenes Theater zu gründen. In der damals besetzten Kulturbrauerei in Prenzlauer Berg fanden sich Arbeitsräume, für die 1993 ein offizieller Mietvertrag zustande kam.

Als Lobbyistin ist Höhne absolut unverzichtbar. Es ist ihr Verdienst, dass das Theater RambaZamba schon lange nicht mehr aus der Kulturszene wegzudenken ist. Zehn Jahre lang setzte sie sich für eine Basisförderung des Theaters ein, bis die Berliner Kultur-Senatsverwaltung tatsächlich eine Finanzierung bewilligte. Das Haus funktioniert seitdem wie ein normales Theater mit Repertoirebetrieb, Wiederaufnahmen und Premieren. Vor sieben Jahren wurden dann für die Schauspieler bezahlte Stellen eingerichtet, ein weiterer Schritt, um kontinuierliche Arbeit zu garantieren. Auch private Querelen überstand das Theater. Als sich das Paar Höhne/Erforth in den 90er Jahren trennte, spaltete sich das Ensemble, mittlerweile ist Erforth ausgeschieden und Kay Langstengel als zweiter Regisseur mit dabei.

Bei aller Freude darüber, dass Behindertentheater ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt ist, sieht Höhne die jüngere Entwicklung kritisch. Sie macht kein Hehl daraus, dass sie ihre Schwierigkeiten hat mit Inszenierungen wie Bels „Disabled Theatre“ oder auch „Dschingis Khan“, einer Koproduktion der Performancegruppe Monster Truck mit dem Behindertentheater Theater Thikwa. Drei Thikwa-Spieler treten anfangs wie in einer Völkerschau-Persiflage auf, werden scheinbar vorgeführt, aber nehmen das Geschehen immer mehr selbst in die Hand. Was eingeübt ist und wo sie improvisieren, was ihre Idee war oder ihnen als Konzept womöglich aufgedrückt wurde, bleibt offen. Man kann hier als Zuschauer leicht in eine Falle tappen, dass man die behinderten Schauspieler für instrumentalisiert hält und ihnen nicht zutraut, das Spiel zu kontrollieren.

Das Leuchten der Spieler

Diese Arbeiten haben die Theaterszene aufgemischt, für einige ist es eine bahnbrechende Neuerung, andere sehen den Ansatz problematisch, kalt lässt der Abend jedenfalls nicht, bei allen Vorbehalten auch Gisela Höhne nicht. „Diversität ist gut“, sagt sie, aber sie stehe für ein Schauspielertheater, über die Schauspieler soll sich die Handlung erzählen, sie sollen auf der Bühne leuchten. „Ihr Werkzeug sind sie selbst, ihre Körper, ihre Stimmen, ihre Gefühle und seelische Stärke.“

Ursprünglich war Gisela Höhne selbst Schauspielerin. Nach der Geburt ihrer beiden Kinder ging sie an die Uni, studierte in Ostberlin Theaterwissenschaft, weil sich das besser mit der Familie vereinbaren ließ. Als in der Tagesstätte ihres Sohns das Märchenspiel begann, die Kinder von den Betreuern jedoch hauptsächlich herumgeschoben wurden, beschloss sie, es anders zu machen. Ihre Abneigung gegen Regieansätze, in denen sie die Fremdbestimmtheit der Schauspieler wittert, mag zum Teil auch daher stammen. Für Höhne steckt im Spiel der wahre emanzipatorische Akt: zu zeigen, dass sich Behinderte genauso einfühlen wie normale Schauspieler.

Am besten gelingt das den RambaZamba-Spielern bei großen Stoffen, die durchlässig sind für allgemeingültige Themen: immer wieder Liebe, Trennung, Kinder bekommen. „Medea“ war eine der herausstechenden Arbeiten, in der die Geschichte von Jason, der sich erst von der Exotik Medeas betören lässt und sie dann verstößt, den Spielern dazu dient, unterschiedliche Beziehungskonstellationen zu probieren und zu kommentieren.

Wenn ihr nächsten Donnerstag der Caroline-Neuber-Preis der Stadt Leipzig ebendort verliehen wird, benannt nach der Theaterreformerin aus dem 18. Jahrhundert, werden die, die ihr so wichtig sind, die Schauspieler, selbstverständlich auch auf der Bühne stehen. Franziska Kleinert, Grit Burmeister, Jennifer Lau, Nele Winkler, Juliana Götze oder ihr Sohn Moritz Höhne, die teils von Beginn an dabei sind. Oder der erst 19 Jahre alte Jonas Sippel, der noch am Anfang seiner Schauspielausbildung steht und neue Frische mitbringt.

In „Am liebsten zu dritt“, das als Gastspiel in Leipzig am Tag der Preisverleihung läuft, hat er einen starken Auftritt und entwirft die Fantasie seiner eigenen Unsterblichkeit: „Wir wollen viele werden, uns vermehren, mit allen vereinen, unsterblich werden.“ Die Worte stehen einen Moment zittrig in der Luft, dann schleudert er sie im Abgang trotzig raus. Er hat das Zeug, sich zu einem neuen Protagonisten zu entwickeln.

Denn ja, von den starken Persönlichkeiten der Spieler leben die RambaZamba-Inszenierungen. Das tägliche Körper-, Stimm- und Schauspieltraining hat sie professionalisiert, auch andernorts, etwa beim Fernsehen, haben sich Türen geöffnet. Die Kontinuität und das strenge Arbeitsethos ist bei aller Diskussion und Erneuerung, die in der Behindertentheaterszene gerade stattfindet, das große Pfund, mit dem die 65-Jährige Gisela Höhne wuchern kann.