Die jungen Alten sind euphorisch

Die Grauen Panther haben 3,8 Prozent bei den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus geholt. Und sie sind in acht Kommunalparlamente eingezogen. Das macht 20 Sitze – und wird ordentlich gefeiert

„Die Protestwähler“, sagt der Chef der Grauen, Raeder, „die werden wir zu Stammwählern machen“

BERLIN (taz) ■ Als Erstes hätten sie sich selbst die Abgeordnetendiäten gekürzt: um 30 Prozent. Ein Zeichen fürs Sparen. „Dit wär der Oberhammer gewesen“, sagt Norbert Raeder. Er hat eine Vokuhila-Frisur, vorne kurz, hinten lang. Nächstes Projekt: Heimpolizei. Damit die Alten in den Heimen ordentlich behandelt werden. „Wir hatten so viel vor“, sagt Raeder. „Was heißt hatten“, fällt ihm dann ein, „wir machen’s ja noch.“ Es sei doch ein „historischer Startschuss“, dieses Ergebnis für die Grauen Panther.

Sie haben 3,8 Prozent geholt bei den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus. Und sie sind in acht Kommunalparlamente eingezogen, 20 Sitze. Überall, wo sie angetreten sind, hat man sie in die Bezirksverordnetenversammlung gewählt. Vor allem in Reinickendorf: 7 Prozent, 4 Verordnete. Reinickendorf ist der Basisbezirk der Berliner Grauen Panther. Das Kastanienwäldchen ist ihre Eckkneipe.

Norbert Raeder, der Wirt des Kastanienwäldchens, der Landesvorsitzende, der 37-Jährige, der frisch gewählte Bezirksverordnete, läuft am Wahlabend vor der Tür auf und ab, piekfeiner Anzug, goldene Krawattennadel. Zwischendurch ruft er Ergebnisse in die Runde. Die Leute sitzen an weißen Plastiktischen, unter den Graue-Panther-Schirmen, den rosa Luftballons. Viele Rentner, aber viel weniger als man bei den Grauen Panthern vermutet. Pankow, 3,5! „Pankow, ey“, Raeder reißt die Hände zur La Ola hoch. Die Leute jubeln. Auch in Pankow sind sie drin. „Absoluter Oberhammer.“

Wie soll man das jetzt erklären, diesen Erfolg? Raeder hat sich wieder vor seinen blauen Kaffeepott gesetzt. Raeder gibt Interviews, das Fernsehen ist auch da. Der Erfolg also? Ehrlichkeit, sagt er, kein Selbstdarstellungsgequatsche. Deshalb haben die Leute sie gewählt, „weil wir 100 Prozent ehrlich sind.“ Protest auch, na klar. „Aber die Protestwähler“, sagt Raeder, „die werden wir zu Stammwählern machen.“

Im Altenheim „Abendstern“ haben die Grauen ihre Tafeln angebracht. Damit die alten Leute sie anrufen können, wenn sie schlecht behandelt werden. Sie kommen dann sofort. Oder die Bewerbungsbriefmarken. Damit die Jugendlichen ihre Bewerbungen gratis verschicken können. Sie veranstalten Kinderfeste. „Junge und Alte zusammen“, schwärmt Raeder, wie hier in seiner Kneipe. Das Durchschnittsalter der Berliner Mitglieder liegt unter 40. Da kann man schon mal provozieren: „Poppen für die Rente“ steht auf einem Plakat und auf rosa Schlüsselanhängern. Wir brauchen mehr Kinder, soll das heißen.

Raeders Arm macht die Säge. „Geile, geile Sache.“ Ein SPD-Bezirksverordneter kommt gratulieren. Er raunt Raeder zu: „Wir haben ganz große Erwartungen in dich. Daste beim nächsten Mal ins Abgeordnetenhaus kommst.“

Um zehn nach zehn steht Raeder drinnen im schummrigen Licht und verteilt Urkunden und Anstecknadeln an die Kreisverbände. Für ihren Wahlkampfeinsatz. Er hat gerade noch mit Trude Unruh telefoniert, der Gründerin der Grauen Panther. Sie war so gerührt, dass sie geweint hat. Immer wenn er eine Urkunde überreich hat, spielt die Band einen kleinen Tusch. Am Ende kommt eine CDUlerin auf die Bühne, gratuliert Raeder und sagt, dass er beim nächsten Mal Bürgermeister von Reinickendorf werden könnte. „Bürgermeister?“, fragt Raeder. „Bundeskanzler!“, ruft er. JOHANNES GERNERT