: Lernen mit Skelett im Jogginganzug
Bei der Arnsberger „Akademie 6 bis 99“ sitzen drei Generationen im Klassenzimmer. Klar, dass man da Schülerinnen und Schülern nicht mit stinknormalem Unterricht kommen kann. „Geile Großeltern“ bringen eine Menge Lebenserfahrung ein
VON ANNE HERRBERG
Am Anfang war Herbert Kramer skeptisch. Eineinhalb Stunden sollte der Vortrag gehen, über Medizin, Knochenaufbau, Ostereopose und so Sachen. Und neben dem 77-jährigen Rentner saß eine Gruppe achtjähiger Mädels. Also nicht unbedingt die richtige Zielgruppe. Ob die das wohl durchhalten würden?
Doch dann kamen die beiden Referenten, der Sportmediziner Hermann-Josef Müller und der Chirurg Otwin Ruland, mit einem Skelett im Jogginganzug auf die Bühne gerollt, erzählten von Ur- und Waldmenschen und die Augen der Drittklässlerinnen begannen zu funkeln. „Das war spitze“, erinnert sich Rentner Kramer. „Was die für einen Wissensdurst haben, kein Murren oder Knurren, die haben gebannt zugehört und tausend pfiffige Fragen gestellt“.
Hermann-Josef Müller hatte passenden Antworten auf alle Fragen: Kommt man bei Rückenschmerzen sofort in die Röhre? Tut das weh? Was macht man, wenn die Schließmuskulatur sehr müde geworden ist? „Ein Zwei-Euro-Stück zwischen die Pobacken klemmen und ja nicht locker lassen“, so die lapidare Antwort des Mediziners.
So funktioniert die „Akademie 6 bis 99“ in Arnsberg, eine Art „Studium Generale“ für alle Alterklassen. Rund 100 ZuhörerInnen kamen zur ersten Veranstaltung. Eröffnet wurde sie von NRW-Integrationsminister Armin Laschet am 7. September. Die Altersvorgabe wurde knapp unterboten, 91 Jahre zählte der älteste Gast. „Die Stimmung war einfach irre“, sagt Sportmediziner Müller. „Die Kinder haben so eine direkte und unkomplizierte Art, und das ist auf alle im Saal übergesprungen.“ Im Sechs-Wochen-Rhythmus sind an der Akademie Fachleute aus verschiedenen Wissensgebieten eingeladen, um über ihre Themen zu referieren. Bisher ehrenamtlich. Einige Beispiele: Haben Engel Flügel? Warum kleben Magnete ohne Pattex? Und wie funktioniert eigentlich Fernsehen?
Das klingt ein bisschen nach „Sendung mit der Maus“. Ist es auch, jedenfalls die Art und Weise, wie hier Wissen präsentiert wird. Anschaulich und verständlich, kein kompliziertes Fachlatein, „aber am Schluss hat man immer was gelernt“, erklärt Werner Roland, Schulleiter des Berufskollegs am Eichholz in Arnsberg. Dort ist die Idee für die „Akademie“ entstanden. „Klar haben wir ein bisschen bei anderen Konzepten wie zum Beispiel der Kinderuni gespickt,“ gibt Roland zu. Das Ganze ist Teil der städtischen Aktion „Generationen verbinden“. Die umfasst auch weitere Projekte, zum Beispiel ein Generationen übergreifendes Bewerbungstraining am Berufskolleg: Zwei Renter, die früher mal in einem Personalbüro gearbeitet haben, geben Berufsschülern Tipps zu Bewerbungsschreiben und richtigem Auftreten beim Vorstellungsgespräch. Dafür erklären die Berufsschüler älteren Leuten, wie ein Computer funktioniert. „Erst dachten unsere Schüler, was wollen denn die Alten von uns“, erinnert sich Schulleiter Roland. „Doch dann merkten die auch, wieviel man voneinander lernen kann.“
Die Zusammenarbeit ist erfolgreich: 70 Prozent der Berufsschüler haben schon einen Ausbildungsplatz gefunden, und Rentner Herbert Kramer hat inzwischen nicht nur einen, sondern gleich drei Computer.
Seine Kollegin Dorothee Müller nennt das „Bildungsbündnis zwischen Jung und Alt“. Ältere Leute hätten einen riesigen Erfahrungshintergrund und eben auch viel Zeit. Davon könnten die Kinder und Jugendlichen profitieren – und umgekehrt. Wichtig sei es, die Leute mit einander ins Gespräch zu bringen. So lernen Opa und Oma beispielsweise, dass es eine absolute Anerkennung ist, wenn ihr Enkel sie als „geile Großeltern“ vorstellt. Und Zehntklässler merken beim gemeinsamen Spielenachmittag, dass Schach, Dame und Halma ebenso cool sind wie Computerspiele.
Weitere Projekte sind in Planung. Im Spätherbst soll eine „Praxis-Akademie“ in Kindertagesstätten eingerichtet werden. „Da geht es dann weniger um Wissen als ums Experimentieren und Anwenden,“ sagt Dorothee Müller. „Spitzenidee“, findet der 77-jährige Herbert Kramer. Ob er da vielleicht selbst mitmacht? Schließlich hat er für die „Akademie 6 bis 99“ schon ein Eröffnungsgedicht geschrieben, ist Experte im Hobbyfunken, Morsen und Modellbauen und kann alte Boogies aus den Sechzigerjahrenauf dem Keyboard spielen. Da würde schon was gehen.