: Phantomschmerzen im Wald des Propheten
IDENTITÄTSSUCHE Die Postapokalypse ist verwirrend, die Gegenwart auch: Das Stück „Warten auf Adam Spielman“ von Hakan S. Mikan in der Regie von Michael Ronen im Ballhaus Naunynstraße
VON KATRIN BETTINA MÜLLER
Man kann zum Beispiel neue Beschimpfungen lernen beim Theaterabend „Warten auf Adam Spielman“ im Ballhaus Naunynstraße. „Du Araber-Imitat“ sagt man in Kreuzberg wahrscheinlich besser zu niemandem auf der Straße. Aber der tote Onkel von Malik, der mit seinem Neffen, als der noch klein war, aus dem zerschossenen Beirut ins Berliner Asylantenheim zog, darf seinen Neffen so nennen. „Mir geht’s doch gut in Deutschland“, sagt Malik, wählt heimlich CDU und versteht weder, was sein toter Onkel noch seine schwangere Freundin Gül eigentlich von ihm wollen. Gül ist empört über seinen Vorschlag, das gemeinsame Kind Hans-Achmed zu nennen. Sieht er denn nicht, dass kein Name das Kind davor schützen kann, von anderen verachtet und ausgegrenzt zu werden?
Gespenst des Vaters
Gül und Malik sind zwei von sechs Figuren, die in „Warten auf Adam Spielman“ in einem Wald nach einem Propheten suchen. Malik begegnet stattdessen seinem toten Onkel, und Gül hat eine Vision, wie ihr noch nicht geborener Sohn einmal hunderten von Menschen die Kehle durchschneidet, und sie verliert ihr Kind. Ziemlich heftig, das. Galip, der so gern ein Schlagersänger geworden wäre, muss noch einmal die Casting-Show durchleben, bei der ihm das Gespenst seines Vaters, der ihn zum Koranrezitator ausbilden wollte, die Zunge und die Silben verwirrt. Auch Zipora streitet mit ihrem Vater, der, aus Bayern stammend, nach dem Zweiten Weltkrieg zum Judentum konvertierte und mit der Familie nach Israel ging. Schinkenbrote reichen nicht aus, ihren Hunger nach etwas Verlorenem zu stillen und alle Erinnerungen an die Phantomschmerzen kehren wieder in dem Wald des Propheten. Dabei hat sich Zipora von ihm doch gerade Vergessen erhofft.
„Warten auf Adam Spielman“ ist ein eigenartiger Theaterabend. Die Geschichte ist so wüst und sprunghaft wie die Legende von Adam Spielman, einem ehemaligen Junkie aus Detroit, der zum Propheten wurde: Er sagte nicht nur eine Zeit der Glaubenskriege voraus, sondern danach eine Zeit der Liebe, die alle vereinen wird. Warum sich gerade von ihm die sechs Protagonisten Hilfe erwarten, wird nicht so richtig klar, wohl aber, worunter sie leiden. Der Abend holpert durch Episoden, die sich alle um die Unmöglichkeit drehen, eine Identität glatt und ungebrochen zu leben; dass er holpert und der dramaturgische Faden nicht recht weiß, wohin er will, passt eigentlich ganz gut. Denn immer, wenn einer der sechs glaubt, für sich die Wahrheit gefunden zu haben, nimmt ein anderer sie ihm wieder weg.
In das Stück hat jeder der Schauspieler etwas von seinen eigenen biografischen Fragen eingebracht: Tatsächlich wird Zipora von einer Schauspielerin aus Israel, Sara von Schwarze, Malik von einem in Beirut geborenen Filmschauspieler, Kida Ramadan, gespielt. Dennoch ist die Spielweise eine, die nicht das Authentische zum Kult erklärt, sondern von der Überspitzung lebt, der Suche nach dem Eigenen im verfemten Klischee: Alles, was „Ich“ sein könnte, wird mit spitzen Fingern angefasst. Das ist ziemlich schwierig.
Der Autor, Hakan Savas Mican, in Berlin geboren und in der Türkei aufgewachsen, kehrte zum Studium an den Geburtsort zurück; der junge Regisseur Michael Ronen wurde in Jerusalem geboren, arbeitet in Israel, London und Berlin. Und er versucht fast in jeder Inszenierung furchtlos auf die Konflikte zuzuhalten, die an all diesen Orten brodeln. Beide haben schon mehrmals für das Ballhaus Naunynstraße gearbeitet, dass dieses Stück bei ihnen in Auftrag gab.
Musik spendet Sinn
Zusammengehalten werden die Episoden durch den Musiker Daniel Kahn, der den Erzähler mimt und als der eigentliche Prophet erscheint. Mit vier Liedern gliedert er den Abend, „Segnung, Sühne, Offenbarung, Absolution“ überschrieben, mit Reimen in Englisch und Jiddisch, in deutscher Übersetzung mitzulesen: „Ich habe eine kleine Prophezeiung für euch“, singt er in „Offenbarung“, „ein apokalyptisches Geheimnis, eine Ahnung: Da die Welt wie Detroit wird, werden wir alle wie Juden. Wenn Zion zerstört ist, wird das Versprechen wahr. Detroit ist eure Stadt, und Zion ist in dir. Lerne, es in dir zu tragen. Lerne ein Jude zu sein.“
Kahn, der aus Detroit stammt, verdankt das Stück den Titel, denn lange mussten die Schauspieler auf ihn warten, bis er aus den USA zu den Proben kommen konnte. Es hat sich aber gelohnt, denn seine Songs, ein balladesker Postklezmer, verdichten, was in den Spielszenen ausfranst, und bringen das Bild einer Welt auf den Punkt, in der in der Diaspora zu leben Normalität ist.
Dennoch lässt der Abend viele Fragen offen. Zum Beispiel wie die Suche nach Erlösung und die Sache mit dem Glauben als Voraussetzung für die eigene Identität eigentlich gemeint ist: Ernsthaft, ironisch, karikiert? Vermutlich gäbe jeder im Team eine andere Antwort darauf.
■ „Warten auf Adam Spielman“, Ballhaus Naunynstraße, bis 10. 10. und 14. bis 17. 10., 20 Uhr