Wenn Frauen für Männer zahlen

„In den Süden“ von Laurent Cantet ist eine Versuchsanordung zum Thema Sextourismus

Jede und jeder hat seine Meinung zum Sextourismus – man und frau kennt die Bilder und Geschichten von den fetten, bleichen Männern und den zierlichen, viel jüngeren Frauen und Mädchen. Es gibt Reportagen, Dokumentationen, Fotoserien und Spielfilme über dieses Thema, die so empörend und ekelerregend sind, dass es schwer fällt, analytisch über dieses Problem, das ja nicht nur ein moralisches, sondern auch ein strukturelles ist, nachzudenken. Daher ist es sehr hilfreich, wenn einmal, die Vorzeichen umgekehrt werden. In dem frankokanadischen Film „Vers le sud“ sind es die Frauen, die in die Tropen reisen, um dort schöne, junge Sexpartner zu kaufen. Heute liegt bei solchen Lustreisen von erfolgreichen Frauen aus reichen Ländern Jamaika im Trend, in den späten Siebzigerjahren war Haiti ihr bevorzugtes Reiseziel. Und von solch einem Ferienaufenthalt einer Reihe von Frauen um die 50, denen in einem Strandhotel junge schwarze Männer zugeführt werden, erzählt dieser Film. Durch die zeitliche Distanz wird hier ein Verfremdungseffekt im besten brechtschen Sinne geschaffen, und der Regisseur Laurent Cantet hat seinen Film zudem dramaturgisch so stringent und logisch aufgebaut, dass dies manchmal schon auf die Kosten des Spannungsbogens geht.

In den 70er Jahren ist Haiti eine brutale Diktatur, in der kein Mensch seines Lebens sicher sein kann. Doch in einer gepflegten Hotelanlage am Stand können Touristen sich wie in einem tropischen Paradies fühlen. Die Gäste sind fast ausschließlich allein reisende Frauen über vierzig, die sich am Strand mit jungen, schwarzen Männer treffen. Zwei von ihnen, Brenda und Ellen, sind an dem 18-jährigen Legba interessiert, und eine Zeit lang wird der Film zu einer pervertierten Dreiecksgeschichte, bei der statt der erotischen die ökonomischen Abhängigkeiten im Vordergrund stehen. Dabei ist Brenda auf den ersten Blick der noch unschuldige Neuankömmling, mit dem zusammen wir langsam die Mechanismen kennen lernen, nach denen sich die Männer dort prostituieren, ohne dabei ihren so attraktiven Machismo zu verlieren. Die kanadische Professorin Ellen kommt dagegen schon seit vielen Jahren, kennt alles und jeden und macht sich keinerlei Illusionen mehr darüber, was sie hier kaufen kann und was nicht. Charlotte Rampling spielt sie als eine zynisch wirkende Intellektuelle mit scharfer Zunge, die ganz genau die Regeln des Spiels kennt. Wahrhaft zynisch sind dagegen die dort herrschenden Verhältnisse, und dies wird nirgends klarer als bei einer Szene, in der ein Hotelmanager den Gespielen einer der Frauen aus dem Restaurant verweist, und diese sich ganz empört darüber beklagen, wie „rassistisch“ doch die Haitianer seien. Die naive Brenda ist es, die scheinbar in aller Unschuld die Grenzen überschreitet und damit schließlich eine Tragödie auslöst. Ihre Ignoranz ist im Grunde viel boshafter und fataler als Ellens analytischer Durchblick, und Karen Young gelingt es, diese zuerst so harmlos wirkende Frau voller romantischer Ideale schließlich als ein Schreckensbild der zerstörerischen Dummheit darzustellen. Laurent Cantet wechselt immer wieder die Perspektive. Zum Teil halten die Protagonistinnen Monologe, die die Erzählung unterbrechen, und auch so wieder Distanz schafft. In einigen Sequenzen folgt die Kamera auch dem von Ménothy Cesar gespielten Legba. Sie zeigt, wie er von seinen Freunden auf der Straße zugleich bewundert und verachtet wird, in welch erbärmlichen Verhältnissen er lebt und wie verwundbar er außerhalb des Hotelgeländes ist. Auch wenn der Film auf eine dramatische Zuspitzung am Ende zuläuft, also wirkungsvoll inszeniertes Erzählkino bietet, ist er in erster Linie eine scharfsinnige und detailreiche Analyse des Sextourismus. Trotz all der Szenen am heißen Strand kommt einem da das Frösteln. Wilfried Hippen