Männlichkeitsappeal der Bordkanone

Gestern wurden in Wilhelmshaven die ersten Marinesoldaten in den Nahen Osten verabschiedet. Anlass für einen Rundgang durch das Marinemuseum und eine Abrechnung mit Technokraten und Offizieren

Leider überlässt es das Marinemuseum allzu oft dem Betrachter, die nötige kritische Distanz zu den Ausstellungsstücken herzustellen

Das Militär gibt es, das ist ganz unbestreitbar. Und auch wenn es Übelkeit auslöst, wird man seiner ansichtig, ist dies noch lange kein Argument, es nicht auszustellen. Im Gegenteil, die Militärhistorie ist ein Garant für Kontinuität über alle System- und Epochenschwellen hinweg, sie ist ein höchst bedeutsamer Teil unserer Kulturgeschichte, wahrscheinlich sogar der größte, den zu verschweigen und zu verdrängen nichts hilft. Auch wenn es stets aufs Neue beschämend ist, wie viel Geist und Witz und – ja: Genie Menschen aller Zeiten darauf verwendet haben, ihre Artgenossen zu massakrieren.

Von daher ist es wichtig, richtig und gut, dass es das Deutsche Marinemuseum gibt. Und dass es in Wilhelmshaven den denkbar besten Platz hat, ist ohnehin klar: Die Stadt gibt es nur, weil die Preußen dort 1853 einen Marinestützpunkt errichtet und ihn nach und nach zum „Reichskriegshafen“ ausgebaut haben. Heute nennt man das „Stützpunkt“, was harmloser klingt.

Sonst aber hat sich nicht viel geändert: Marine war immer schon etwas für technikbegeisterte kleine Jungs jeden Alters, und das Hauptpublikum des Museums besteht, so scheint’s, tatsächlich aus solchen. Klar: Nichts hat mehr Männlichkeitsappeal als eine aufgerichtete Bordkanone, die in hohem Bogen übers Wasser spritzt, und zwölf Kilometer weit, und 40 Mal in der Minute kann, oder doch zumindest könnte – wenn nicht der Lauf des „achteren Turms BRAVO“ mit Sand verstopft wäre. „Lenkwaffenzerstörer“ nennt sich der Bootstyp, alles ist grau-gelackt, unten rum, in den engen Gängen, riecht es muffig-schweißig, und getauft ist das „größte Museumskriegsschiff Deutschlands“, das vor dem Marinemuseum vor Anker liegt, auf den Namen Mölders.

Womit wir wieder beim Thema der Traditionen wären: Denn mit der Benennung ihres seinerzeit modernsten Schiffes löste die Bundeswehr 1968 ein altes Versprechen von Reichsfeldmarschall Hermann Göring ein. Der hatte beim Absturz des Kriegs-Fliegers 1941 verkündet, dass dessen „Andenken bis in alle Ewigkeit fortleben“ und „stets Vorbild militärischer Tugend sein“ sollte. Es ist kein Zufall, dass man sich ausgerechnet in der Marine solcher Heldenverehrung befleißigte.

Denn in keinem Truppenteil war die Kontinuität zwischen Nazi-Wehrmacht und Bundeswehr größer und nachhaltiger, als bei den Seestreitkräften. Ja, das hätte man leicht vergessen können, und in dieser Hinsicht ist ein Besuch im Marinemuseum außerordentlich lehrreich: Bis Hans-Helmut Klose unter Verteidigungsminister Helmut Schmidt (SPD) auf diesen Posten gehievt wurde, gab es keinen Oberbefehlshaber der Flotte und keinen Marine-Inspekteur, der nicht schon den Nazis treu und ergeben gedient hat.

Leider, leider überlässt es das Museum allzu oft dem Betrachter, die nötige kritische Distanz herzustellen. Und leider ist seine Erzählperspektive die der Technokraten und Offiziere: Als schwer entdeckbare Fußnote im ersten Obergeschoss kommt der Matrosenaufstand von 1918 vor – unter der Rubrik „Gehorsamsverweigerung“. Affirmativ hingegen wird bemerkt , dass ein Torpedo „kleinen Booten große Wirkung“ gibt. Da freut sich ein Erklär-Täfelchen, dass ein – 1928 gebauter – Schiffstyp „die Fesseln von Versailles“ gesprengt habe und da wird vermerkt, dass die Kriegsmarine während des gesamten Zweiten Weltkriegs „zu wenig“ U-Boote gehabt habe – auch dies eine merkwürdige Wertung eines Vertragsbruchs. Schlimmer aber: Kein einziger Hinweis auf die Zwangsarbeiter, die eben jene U-Boote bauen mussten und die Torpedos schraubten am Alten Banter Weg, der Wilhelmshavener Außenstelle des KZ Neuengamme. BES