: Tintenfisch gegen Maulheld
BOXEN Vitali Klitschko will am Samstag wieder etwas Fallobst zerquetschen. Das wortgewandte Opfer hört auf den Namen Shannon Briggs
VITALI KLITSCHKO
AUS HAMBURG SUSANNE ROHLFING
Vitali Klitschko ist ein durchaus humorvoller Mensch, aber gerade hat er keinen Spaß. Gerade arbeitet seine Kiefermuskulatur ganz gewaltig. Es kostet Klitschko sichtlich Mühe, ruhig zu bleiben. Er darf nicht zuschlagen. Noch nicht. Das ist erst Samstagabend erlaubt. Im Ring. Wenn der Amerikaner Shannon Briggs in der Hamburger Arena versucht, dem Weltmeister aus der Ukraine seinen Titel wegzunehmen.
Gerade versucht Briggs nur, Klitschko die Show zu stehlen. Der gewaltige Mann mit den blondierten Rastalocken nutzte dazu jeden öffentlichen Termin, der sich in der Woche vor dem Kampf bot. Er lobte und fluchte, schwadronierte und riss sich immer wieder das T-Shirt vom Leib, um seinen strammen Oberkörper zu präsentieren. Dass ein Klitschko-Gegner in diesen Tagen nicht nur die Aufgabe hat, sich im Ring einem der Hünen zu stellen, versteht sich von selbst. Ein Klitschko-Gegner muss auch – und wohl vor allem – vor dem Kampf schillern. Er muss polarisieren, Interesse schüren, den Kartenverkauf ankurbeln. Darin ist Shannon Briggs der Beste, den die Klitschkos seit langem hatten. Beinahe so gut wie der Brite David Haye, der bislang immer nur ein Fast-Gegner der Klitschkos war, weil er jedes Mal rechtzeitig den Kopf einzog und dem Duell im Ring aus dem Weg ging.
Wie zuletzt noch jeder Kontrahent beteuert auch der Asthmatiker Shannon Briggs beharrlich, dass er Vitali Klitschko besiegen werde. „Ihr werdet noch merken, dass ich die falsche Wahl war“, ruft er Klitschko und dessen Manager Bernd Bönte zu, „ich werde euch in den Hintern treten.“ Tatsächlich aber spricht nicht viel dafür, dass Briggs dem Titelverteidiger auch im Ring die Show stehlen könnte. Was er abwertend als den „Tintenfisch-Stil“ des Vitali Klitschko bezeichnet, hat der Ukrainer in seinen letzten Kämpfen zu einer überaus effizienten Waffe perfektioniert. Mit hängenden, schlenkernden Armen steht er da und malträtiert seine Gegner aus der Rückwärtsbewegung mit aus der Hüfte geschossenen Schlägen. Das tut er so effizient, dass zuletzt keiner seiner Gegner auch nur den Hauch einer Chance hatte.
Für den älteren der Klitschko-Brüder ist das Duell am Samstag in seiner deutschen Heimatstadt Hamburg der zweite Kampf in diesem Jahr. Wladimir, der jüngere Klitschko, hat gerade den Gegner für seinen dritten Kampf im Jahr 2010 bekannt gegeben: Am 11. Dezember wird er in Mannheim auf den Briten Dereck Chisora treffen. Damit wird der Gegner auch im fünften Klitschko-Kampf des Jahres nicht namhafter sein als all die anderen, die sich zuletzt von den Ukrainern verhauen ließen. Ausverkauft wird die Arena wohl trotzdem sein, in Hamburg ist sie es bereits.
Shannon Briggs, mit fast 39 Jahren nur ein knappes halbes Jahr jünger als Vitali Klitschko, war auch mal Weltmeister. Beim ersten Versuch, den Thron zu besteigen, scheiterte er im März 1998 noch an Lennox Lewis. Doch im November 2006 landete er in der zwölften Runde einen ziemlich glücklichen und ebenso heftigen Schlag am Kopf von Sergei Liakowitsch und verwandelte eine fast schon sichere Punktniederlage in einen K.-o.-Sieg. Sieben Monate später verlor er den Gürtel bei seiner ersten Titelverteidigung an Sultan Ibragimow. Erst im Dezember 2009 stieg Briggs wieder in den Ring, in diesem Jahr feierte er bislang drei Erstrundensiege.
Klitschko, der, als Briggs seinen lärmenden Auftritt endlich beendet und sein T-Shirt wieder angezogen hat, seinen Humor wiederfindet, sagt: „Ich war schockiert, als ich zum ersten Mal seine dicken Muskeln sah, ich hatte schlaflose Nächte.“ Mit ernstem Gesicht fügt er noch an: „Dann habe ich mich zusammengenommen und bin ins Trainingslager gefahren.“ Dass Briggs 31 Erstrunden-Knock-outs vorweisen kann, lässt Klitschko kalt. Ob er deshalb zu Beginn des Kampfes weglaufen werde? „Nein“, sagt der Familienvater und zeigt auf Briggs. „Der muss weglaufen, ich bin in der ersten Runde genauso gefährlich wie in den folgenden.“ Ach ja, und: „Der Kampf wird eine richtige Schlacht.“ Klitschko kann ja nicht die gesamte Werbetätigkeit seinem Gegner überlassen.