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Archiv-Artikel

Ein Blick zurück im Zorn

Der Göttinger Islamwissenschaftler Bassam Tibi wandert in die USA aus – und rechnet mit Deutschland sowie mit seinen Kollegen ab. Angela Merkels Kronzeuge für die Leitkultur-Debatte ist fühlt sich in Deutschland verkannt

Der ebenso umtriebige wie umstrittene Göttinger Politikwissenschaftler und Islamexperte Bassam Tibi (62) schmeißt das Handtuch. Er werde Deutschland nach seiner Pensionierung 2009 verlassen und in die USA auswandern, kündigte der Professor an.

Doch schon jetzt wirft der Wissenschaftler Tibi einen Blick zurück im Zorn – auf Deutschland, vor allem aber auf die Universität Göttingen, an der er seit 32 Jahren lehrt. „Meine Liebe zu Deutschland und seiner Universität wurde in den vergangenen Jahrzehnten nicht mit Gegenliebe, sondern mit Ausgrenzung und Verachtung erwidert“, klagt Tibi. Die Hochschule habe seine Habilitanden blockiert und ihm selbst Bleibeverhandlungen bei Berufungen aus dem Ausland verweigert. Besonders verbittert ist der gebürtige Syrer und deutsche Staatsbürger darüber, dass der amtierende Universitätspräsident seine Arbeit als „Schwachstelle“, „profillos“ und „entwicklungsfähig“ bezeichnet hatte.

Trost findet Tibi darin, „dass ich beruflich ein Doppelleben führe“. Er erfülle seine dienstliche Pflicht als „Gastarbeiter“ in Göttingen korrekt und in vollem Umfang, „aber mein Leben mit Forschungs- und Lehrinhalten führe ich woanders“. An Universitäten in den USA, Indonesien, Singapur und Australien, wo er Lehraufträge habe, finde er „gleichermaßen als Mensch und als Wissenschaftler Anerkennung“. Seit 2004 lehrt Tibi auch an der Cornell University in Ithaca im US-Bundesstaat New York. Dort will er nach seiner Emigration arbeiten.

Sein wissenschaftliches Werk umfasst 26 Bücher in deutscher und sechs Monographien in englischer Sprache – darauf weist Tibi immer wieder hin. Überall werde er deshalb geachtet, nur nicht von seinen Kollegen an der Göttinger Universität. Die Zeit hingegen urteilte: „Dass er aber gerade auch durch die serielle Produktion haarsträubend fahriger Bücher, durch rastlose Medienpräsenz und pausenlose Kollegenschelte längst die hart erarbeitete wissenschaftliche Reputation verbraucht hat, will Tibi nicht wahrhaben.“

Tibi, selbst gläubiger Moslem, sieht sich nicht nur als Begründer einer sozialwissenschaftlich ausgerichteten Islam-Forschung. Er hat die politisch-ideologische Ausprägung des Islam immer wieder scharf kritisiert. An die christlichen Kirchen appellierte Tibi, gegenüber dem Islam selbstbewusster aufzutreten. Der Dialog werde durch die Haltung der Christen erschwert, „die ihm „mit gebrochenem Rückgrat, Selbstzensur und Tabus“ begegneten. Das jüdisch-muslimische Gespräch verlaufe besser, „weil die Juden selbstbewusster auftreten“.

Seiner Wahlheimat Deutschland prognostizierte Tibi immer wieder große Probleme wegen der „gescheiterten Integration der Migranten“. Von den Einwanderern fordert Tibi ein klares Bekenntnis zur hiesigen Rechts- und Verfassungsordnung. Unionsgrößen wie Angela Merkel und Edmund Stoiber machten ihn deswegen zum eigentlichen Erfinder des Begriffs der deutschen Leitkultur. Reimar Paul