Potemkin in Hellersdorf

In dem Plattenbauquartier entsteht auf 64.000 Quadratmeter das größte Wandgemälde der Welt. Leinwände sind sechs Blocks, deren Fassaden nach Motiven europäischer Altstädte bemalt werden

VON ROLF LAUTENSCHLÄGER

Es ist nicht das erste Mal, dass die östlichen Plattenbauviertel eine ganz spezielle Zuwendung erhalten. Um die tristen Großsiedlungen baulich und optisch zu verändern, wurden im Bezirk Marzahn Hochhäuser abgerissen oder Stockwerke reduziert und vielfach Grundrisse neu gestaltet. In Hohenschönhausen stockten Architekten dagegen Flachdächer auf. Die „Platte“ wurde verkleidet, die Fassaden, Eingänge und Balkone sind aufwendig saniert worden – alles Maßnahmen, um den Wegzug der Bewohner aufzuhalten und Leerstände von Läden und Wohnraum zu vermeiden. Mit zweifelhaftem Erfolg, wie man weiß.

Eine besondere Inspiration in dieser Richtung erfährt seit gestern Hellersdorf. Sechs Häuserblocks entlang der Hellersdorfer Promenade mit 1.130 Wohnungen und über 70 Geschäftsräumen werden seit Dienstag nicht nur grundlegend im Innern saniert. Die grauen Fassaden der Plattenbauten avancieren zum „größten Gemälde der Welt“, wie die Planer des Projekts „Europaviertel Berlin“ schwärmen.

Auf 64.000 Quadratmeter lang mal hoch entsteht in den kommenden Monaten eine Illusion europäischer Altstadtarchitekturen, die die Blocks zu Reihenhäuschen aus Backstein wie in Amsterdam oder Hildesheim, mit barocken Zitaten wie in Florenz oder Siena oder mit den verspielten Ansichten aus dem viktorianischen Westend Londons verwandeln sollen. Das potemkinsche Dorf mit 40 Motiven aus dem europäischen Architekturkatalog entwarf die französische Künstlergruppe Cité de la Création, die schon in Lyon die trostlosen Vorstädte mit bunten Wandmalereien aufhübschte.

Zum Clou dieses illusionistischen Ganzen gehört, dass die Läden und kommenden Gastronomien themenbezogen sind: Tapas gibt es beispielsweise im spanischen Viertel, Pasta im Palazzo Hellersdorf oder die neue Mode hinter den französischen oder holländischen Fassaden.

Die neue Hellersdorfer Altstadt inmitten der übrigen 30.000 Plattenbauten sei kein Witz, meint Uwe Klett, sondern ein Wundermittel. Als müsste es den zahlreichen Kritikern derartiger Kulissenschieberei in den Plattenbauquartieren gezeigt werden, marschierten der PDS-Bezirksbürgermeister, der Architekt Andreas Wunderlich und eine gute Hundertschaft BürgerInnen im Schlepptau gestern schon mal die Hellersdorfer Promenade hinunter und sprachen Toasts auf die Zukunft der Einkaufsstraße aus. Hellersdorf erhalte bis 2008 ein „emotionales Stadtquartier“, das „weltweit“ einzigartig sei und eine „touristische Attraktion“ bilde, betonte Klett. Die Anwohner erhielten einen Wohn- und Aufenthaltsort von besonderer und besserer Qualität als bis dato.

Dass diese es gut finden, wenn „etwas Farbe auf die Platte kommt“, wie eine Anwohnerin anmerkte, ist evident. Ob der Anspruch des Investors Peter Brockhaus allerdings auch so gesehen wird, lässt Zweifel aufkommen: Dieser spricht davon, das neue Viertel hinter der „Hellen Mitte“ dürfte täglich Touristenmassen anziehen und in einem Atemzug mit Berlins Kurfürstendamm genannt werden. Brockhaus, Geschäftsführer der österreichischen Level One Holding GmbH, hatte kürzlich die Plattenblocks gekauft und die Altstadtmalerei-Idee der Franzosen sowie des Berliner Architekten und jetzigen Europa-Viertel-Geschäftsführer Wunderlich gleich mit. 15 Millionen Euro investiert Brockhaus in die Sanierung und Malerei.

Eine Perspektive für Hellersdorf, sagte Brockhaus, „funktioniert nur auf diese Weise“. Vielleicht hat er mit der Weise Recht: Für den Mal- und Sanierungsjob sollen ältere Hellersdorfer Arbeitslose gewonnen und Jugendliche zum Maler ausgebildet werden. Illusionen kennen die ja zur Genüge.