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Archiv-Artikel

Körting handelt kopflos

Die Absage eines Stücks an der Deutschen Oper wegen möglicher muslimischer Anfeindungen geht auf den Innensenator zurück. Er hatte die Intendantin gewarnt. Der Kultursenator wusste von nichts

VON NINA APIN UND PLUTONIA PLARRE

Bei der Absetzung eines Mozart-Stücks an der Deutschen Oper führte offenbar Innensenator Ehrhart Körting (SPD) Regie. Auf seinen telefonischen Hinweis hin wurden vier Aufführungen des „Idomeneo“ in der Inszenierung von Hans Neuenfels gestrichen, sagte gestern Kirsten Harms, die Intendantin der Oper. Harms erklärte, Körting habe ihr nahegelegt, wegen möglicher Verärgerung von Muslimen die Inszenierung entweder zu verändern oder aus dem Spielplan zu streichen. Hintergrund ist ein Gefährdungsanalyse des Landeskriminalamts.

Eine anonyme Anruferin hatte im Juni über die Hotline der Bundespolizei ihre Bedenken vorgetragen. Nach dem Anruf erstellte das Landeskriminalamt eine Analyse, die den „Idomeneo“ als „eine Gefährdungslage mit schwer abzuschätzenden Folgen für die öffentliche Ordnung und Sicherheit“ einschätzte. Körting bestätigte gestern, dass er dies der Intendantin in einem Telefonat mitgeteilt habe.

„Idomeneo“ erzählt die Geschichte des gleichnamigen kretischen Königs, der in der Antike nach seiner Heimkehr vom Trojanischen Krieg gezwungen ist, seinen Sohn zu opfern. Im Epilog der Neuenfels-Inszenierung, die 2003 uraufgeführt wurde, drapiert der Kreter-König die abgeschlagenen Häupter von Jesus, Buddha, Mohammed und Neptun auf vier Stühle – eine Verbildlichung für den Machtverlust der Religionen.

Harms rechtfertigte sich für ihre Entscheidung, statt des Stücks die Oper „Le Nozze di Figaro“ zu zeigen. Der Regisseur und sie seien sich einig gewesen, das Stück nicht zu zensieren, sagte Harms auf einer Pressekonferenz. In Verantwortung für ihre Mitarbeiter und das Publikum habe sie sich dann zur Absetzung entschieden. Harms gab an, dabei „auf die Sicherheitsempfehlungen einer Fachbehörde vertraut“ zu haben. Innensenator Körting habe ihr gesagt, er liebe die Deutsche Oper sehr, fahre oft daran vorbei und wolle nicht erleben, dass sie nicht mehr da sei. Einblick in das vom LKA angefertigte Gutachten habe sie nie bekommen und dies auch nicht für nötig gehalten. Die Absage hatte für Empörung in der nationalen und internationalen Öffentlichkeit gesorgt.

Die Polizei dagegen nimmt für sich in Anspruch, keinen Einfluss auf die Absetzung genommen zu haben. „Wir sind keine Geschmackspolizei“, sagte ein Sprecher. Seinen Angaben zufolge wird in der Gefährdungsanalyse des LKA darauf verwiesen, Störungen und Aktionen im Zusammenhang mit der Aufführung könnten nicht ausgeschlossen werden. Es gebe aber keine konkreten Hinweise auf geplante Aktionen. Die Deutsche Oper ist mit fast 2.000 Plätzen das größte Theater der Stadt.

Regisseur Hans Neuenfels zeigte sich empört über das Vorgehen der Intendantin. Er bezeichnete die Absetzung als „Hysterie“ und „vorauseilenden Gehorsam“. Sein Anwalt Peter Raue legte Kirsten Harms den Rücktritt nahe.

Im Senat, wo die Absetzung des „Idomeneo“ gestern behandelt wurde, geriet der Innensenator heftig unter Beschuss. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) sagte, Körtings Verhalten sei „totaler Quatsch“. In einer Presseerklärung bezeichnete er die Entscheidung der Intendantin als falsch. Eine konkrete Gefährdung, die eine Absetzung des Stücks gerechtfertigt hätte, sei in seinen Augen nicht zu erkennen.

Dieser Meinung ist auch Alice Ströver, kulturpolitische Sprecherin der Grünen. Die Intendantin, so forderte sie, sollte ihre Entscheidung zurücknehmen und die Wiederaufnahme der Inszenierung im November ermöglichen. Eine Absetzung gefährde die Freiheit der Kunst.

Kultursenator Thomas Flierl (PDS) stellte sich dagegen demonstrativ hinter Kirsten Harms. Die Intendantin habe „verantwortungsvoll gehandelt“. Für Körting, der ihn bis zuletzt nicht über sein Vorgehen informiert hatte, hatte der Kultursenator Kritik übrig: Seine Sicherheitsbedenken seien „weder aktuell noch substantiiert genug“, um eine Absetzung zu rechtfertigen, sagte Flierl. Flierl und Harms fordern nun gemeinsam, Konzepte dafür zu entwickeln, wie die Freiheit der Kunst zukünftig gewahrt werden könne.

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