: Der Senat spielt nicht mit
WOHNEN Die Initiative Kotti & Co stellt mit „Nichts läuft hier richtig“ eine Broschüre zum sozialen Wohnungsbau vor – jetzt drohen auch noch „rückwirkende Mieterhöhungen“
VON JULIANE SCHUMACHER
Der Stuhl bleibt leer. Eigentlich sollte dort am Freitag Staatssekretär Ephraim Gothe sitzen, um mit Mieterinitiativen und Experten über den sozialen Wohnungsbau in Berlin zu sprechen. Aber Gothe ist am Dienstag von Stadtentwicklungssenator Michael Müller (SPD) entlassen worden, sein Nachfolger nicht gekommen. Und damit ist das Problem sofort deutlich: Der zentrale Akteur macht nicht mit.
„Wir machen hier die Arbeit, die eigentlich die Politik machen müsste“, sagt Matthias Clausen von der Initiative Kotti & Co. Zusammen mit Stadtforscher Andrej Holm und weiteren Experten stellen sie im Kuchen-Kaiser am Oranienplatz die Broschüre „Nichts läuft hier richtig“ vor, die versucht, das komplexe Problem des sozialen Wohnungsbaus in Berlin anschaulich darzustellen – samt Lösungsvorschlägen: Die reichen von rechtlichen Konkretisierungen über die Frage, wie die im sozialen Wohnungsbau geltende „Kostenmiete“ berechnet werden darf, bis zur Forderung des Wiederaufkaufs von Wohnungen durch das Land mit Mieterbeteiligung. Die Wohnblöcke am Kottbusser Tor sollen dabei ein Modellprojekt werden. Den Senat fordern die Initiativen auf, eine parteiübergreifende Enquetekommission zu bilden, um Lösungen für das Problem der rasant steigenden Mieten und der Verdrängung zu suchen.
Der Broschüretitel „Nichts läuft hier richtig“ klingt dabei fast noch beschönigend. 137.000 Wohnungen in Berlin gelten noch als Sozialwohnungen mit besonderen Regeln für die Vergabe und die Berechnung der Mieten. Die Mietpreise liegen hier inzwischen jedoch teils weit über denen des freien Markts. Vor zehn Jahren ist der Senat aus der Förderung des sozialen Wohnungsbaus ausgestiegen, Teile davon wurden an private Investoren verkauft. Auf die Folgen wie die Verdrängung von Mietern haben Initiativen wie Kotti & Co. in den letzten zwei Jahren hingewiesen. Das „Mietenkonzept“, das Senator Müller 2013 verabschiedet hat und das den Mietanstieg stoppen sollte, habe die Mietsteigerungen nicht eingedämmt.
Wie drastisch diese Entwicklung derzeit ablaufen kann, macht Sebastian Jung aus dem Fanny-Hensel-Kiez, der als Gründer des Bündnisses sozialmieter.de mit auf dem Podium sitzt, am eigenen Beispiel deutlich: Eine „rückwirkende Mieterhöhung“ für die letzten 27 Monate solle er bis April zahlen, über 9.000 Euro. „Ich fühle mich, wie wenn mir jemand die Pistole auf die Brust setzt und sagt: Geld her oder die Wohnung!“, sagt Jung. Die Vermieter nutzen Unklarheiten im geltenden Recht des ehemaligen sozialen Wohnungsbaus, um die Miete auf bis zu 13 Euro pro Quadratmeter hochzurechnen. Nicht nur er warnt vor einem Dammbruch: Wenn das durchkomme, hätten die Investoren freie Hand, die Mieten in weiten Teilen der Sozialwohnungen drastisch zu erhöhen. Für arme Mieter, sagt Sigmar Gude vom Stadtplanungsinstitut Topos, gebe es schlichtweg keine Wohnungen mehr.
Eine soziale Notlage, bei der man in der Runde wenig Bewegung beim Senat sieht. „Der Druck von der Straße hat geholfen, in einen Dialog zu kommen“, sagt Clausen von Kotti & Co. „Aber alle konkreten Schritte gehen genau in die andere Richtung.“