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Archiv-Artikel

Wiederbelebung ist möglich

VINTAGE Es war wohl ein Gang zu viel gewesen – jetzt ist das Rollback angesagt: klare Formen, die nur auf den ersten Blick altmodisch wirken. Karge Ausstattung, die jedoch sehr modern und vom Feinsten sein kann. So lässt sich’s stilvoll radeln

Ein Rad mit Vergangenheit kann dann schon mal teurer sein als ein frisch hergestelltes Retro

VON HELMUT DACHALE

Klaus und Klara, Paul und Paula – die unverwüstlichen vier von der Seniorentanzgruppe? In diesem Falle sind es Fahrräder, die Klassikmodelle des Herstellers Retrovelo. Retro-Style-Fahrräder aus Leipzig, eine Gattung, die auch gern als Vintage-Bike bezeichnet wird. Ist jetzt dermaßen en vogue, dass selbst der Otto-Versand nicht daran vorbeikommt. Der präsentiert seine Retros als „Nostalgieräder“. Als die lustigen Anverwandten des Hollandrads, zu haben auch in „sunny yellow“ oder „soft blue“. Ziemlich billig. Etliche liegen noch unterhalb von 400 Euro.

Das sieht bei „Klaus“ oder „Klara“ schon anders aus, auch preislich. Als Grundmodell – mit Shimanos fünfgängiger Nexus-Nabenschaltung – kostet so ein Rad 1.250 Euro, und der Gepäckträger käme noch extra. Dafür ist jedes mit Nabendynamo, Brooks-Ledersattel und Edelstahl-Schutzblechen ausgestattet. Nicht zu vergessen die „Fat Franks“: 60 Millimeter breite Ballonreifen mit Hochsicherheitslevel. Gut, dicke Reifen waren auch schon an dem Fahrrad zu finden, mit dem Pony Hütchen im Berlin der zwanziger Jahre unterwegs war. Und dennoch: Die Komponenten, die Retrovelo verbaut, haben mit Yestertech nichts gemein, stammen vielmehr aus den höheren Schubladen der heutigen Fahrradtechnik. Nur: Was hat das dann noch mit „Retro“ zu tun?

Frank Patitz, einer der beiden Retrovelo-Geschäftsführer, lenkt den Blick aufs Große und Ganze, auf die Gesamtgestaltung, spricht von der „wohlgeformten Erscheinung“ seiner Räder. Man stelle aber keine Replikate her. „Wir entwerfen selbst und produzieren auf kleinstindustrieller Basis und sind so in der Lage, jedem einzelnen unserer Räder die kundengewünschte Individualität zu geben.“ Und was dabei herauskomme, sei immer „eine Verbeugung vor der Vergangenheit“. Es gelte, die früher so selbstverständliche Einheit von Form und Funktion hochzuhalten, sich am historischen Erscheinungsbild zu orientieren, es aber nicht unter Denkmalschutz zu stellen. Patitz zeigt auf den Rahmen, der Klara und Paula die Form gibt: Ein schön geschwungenes Oberrohr erinnert an den Schwanenhalsrahmen von anno dunnemals. „Ist aber keiner“, erklärt er. „Wir haben den Hollandrad-Rahmen modifiziert, ihm ein gerades Unterrohr gegeben und so dem Fahrrad insgesamt mehr Stabilität.“

Nun ja, Damenrahmen mit einem gebogenen und einem geraden Rohr sind auch schon an Rädern zu finden, die vor 80 Jahren gebaut worden sind. Und bei heutigen nicht nur an denen, die aus Leipzig kommen. Frank Patitz sieht seine Manufaktur, 2003 gegründet, als Pionierbetrieb, der mit Rückbesinnung auf eine fast verloren gegangene Ästhetik die ganze Fahrradbranche inspiriert hat. Aber die Epigonen, die auf der jetzigen Vintage-Welle mitsurfen wollen, die mag er gar nicht.

Womöglich würde er auch ein vor knapp drei Jahren eröffnetes Projekt dazurechnen: Prêt-à-Vélo in Berlin-Mitte, ein Fahrradladen, der eher eine Boutique sein möchte und seine Kollektion auch noch via Webshop verkauft. Dabei ist in der Selbstdarstellung dieses Unternehmens weder von Retro noch von Vintage oder gar von Nostalgie die Rede. Von „wunderschönen Fahrradklassikern“ schon. „Cycle Style, très chic“, das ist das Programm von Gründer Ulrich Gries, übrigens ein Hochschuldozent.

Unter anderem führt er die Bikes vom englischen Traditionshersteller Pashley. Etwa das „Guv’nor“, das im gediegenen Gewand eines Pathracers daherkommt, früher auch mal Halbrenner genannt. Ein Fahrrad, das in der Grundversion keine Beleuchtung, keine Schaltung und keine Schutzbleche aufweist. Dafür fällt es durch anderes auf, den handgebauten Rahmen aus Reynolds Stahlrohren („buckingham black“), Ledersattel und Ledergriffe, farblich aufeinander abgestimmt, Trommelbremsen von Sturmey Archer und die 40 Millimeter breiten Schwalbe-Reifen. Auch hier also der Versuch, traditionelles Design mit moderner Technik zu kombinieren. Macht rund 1.150 Euro. Wer zusätzlich eine Dreigangschaltung oder Schutzbleche (auch in Holz lieferbar) haben möchte, zahlt noch einiges drauf.

Doch Fahrräder, denen man die Geschichte zwar ansieht, die jedoch genau genommen keine eigene haben, weil erst vor Kurzem hergestellt – solche Produkte sind für viele Vintage-Fans überhaupt nicht das Objekt der Begierde. Sie wollen echte Alte. Wenigstens ein gebrauchtes Gestänge sollte es, vorzugsweise ein Rennradrahmen aus gemufftem Stahl, der vor 30, 40 Jahren vom italienischen Rahmenbauer gelötet worden ist. Im Internet werden zunehmend derartige Preziosen angeboten, dazu funktionsfähige Parts, etwa von Campagnolo, die schon in den siebziger Jahren Bikes angetrieben oder abgebremst haben. Und natürlich werden auch komplette Oldies gehandelt, von Liebhabern oder spezialisierten Kleinbetrieben durchrestauriert und aufgehübscht. So ein Rad mit Vergangenheit kann dann schon mal teurer sein als ein frisch hergestelltes Retro.

Erheblich preisgünstiger: Cross-over-Boliden, wie sie hin und wieder auch zu finden sind. Wie wär’s zum Beispiel mit leicht angeschlagenem Bianchi-Rennradrahmen, kombiniert mit bewegungsunfähigen Schalthebeln am Unterrohr, fast neuwertigem Standardlenker und älterem Seitenläufer? So gesehen auf einem Flohmarkt in Bremen. An der Wiederherstellung der Einheit von Form und Funktion müsste hier noch gearbeitet werden.