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Archiv-Artikel

Bei Nacht heiße Luft, bei Tag Tränengas

Der aktivistische Dokumentarfilm „The Take – Die Übernahme“ von Naomi Klein und Avi Lewis handelt von Fabriken in Argentinien, die von den Arbeitern in Eigenregie geführt werden – und findet darin ein Vorbild, wie gerechte Produktionsverhältnisse in der globalisierten Gegenwart aussehen könnten

VON BERT REBHANDL

Wenn der Arbeiter es will, stehen alle Räder still: Diese Parole aus einer frühen Epoche der Industrialisierung gilt heute nicht mehr. Wenn es nach den Arbeitern geht, drehten sich nun auch Räder an Maschinen weiter, die von den Eigentümern der Produktionsmittel schon als nicht mehr effizient genug eingeschätzt werden. Es sind die Kapitalisten, die heute die Fabriken stilllegen. Zurück bleiben leere Hallen mit rostenden Montagestraßen. Die Arbeiter stehen draußen vor der Tür.

Dass sich das Verhältnis zwischen Arbeit und Kapital in der Globalisierung noch einmal gründlich verändert hat, ist eine Binsenweisheit, der nur selten genauere Analysen folgen. Das gilt für die Befürworter der neoliberalen Ordnung wie für deren Gegner. Naomi Klein hat mit ihrem Bestseller „No Logo“ ein Manifest für die Generation derer geschrieben, die nicht einfach am Konsumentenende von der Verbilligung der Arbeit profitieren wollen. Danach blieb aber immer noch die Frage offen, wie gerechte Produktionsverhältnisse aussehen könnten. Sie fand eine mögliche Antwort in Argentinien, dem lateinamerikanischen Land, das am heftigsten in die Stürme der Globalisierung geraten war. Ein wirtschaftlicher Boom in den Neunzigerjahren ging im Wesentlichen auf den Ausverkauf von Infrastruktur an internationale Investoren zurück. Zugleich stieg die Staatsverschuldung, irgendwann hielt die Landeswährung das nicht mehr aus, das Kapital und die Kapitalisten brachten sich in Sicherheit, die Fabriken und die Banken machten zu, und die Leute standen mit leeren Händen da. Sie legten sie aber nicht in den Schoß, sondern erhoben Anspruch auf die bankrotten Betriebe.

Von der Rückeroberung der Fabriken handelt der Film „The Take – Die Übernahme“ von Avi Lewis und Naomi Klein. Er soll der Bewegung der Globalisierungsgegner die Richtung weisen. Hier sollen sie sehen, dass es nicht reicht, immer nur dagegen zu sein. Es gibt nun auch etwas zu befürworten – lokale Initiativen, Kooperativen, Institutionen. Eine neue Ökonomie, die von den Menschen für die Menschen gestaltet und erkämpft wird. Lewis und Klein schlugen sich mit der Kamera auf die Seite dieses alternativen Modells. Sie atmeten dafür „Tränengas bei Tag und heiße Luft bei Nacht“, wie sie nicht ohne Pathos kundtun. Besonders die Arbeiterschaft des Autozulieferers Forja hat es ihnen angetan. Sie verfolgen, wie die Leute für die Übernahme der Fabrik kämpfen, vor Gericht und bei den Politikern. Der Wahlkampf zwischen Menem, dem Vertreter des alten Establishments, und dem Populisten Nestor Kirchner bildet den Hintergrund für den Richtungsstreit um das neue Argentinien. Zwischendurch riskieren Lewis und Klein kleine Mooriaden, etwa wenn sie einem Vertreter des Internationalen Währungsfonds auflauern und ihm vor der Wackelkamera ein verräterisches Statement entlocken wollen.

Das Problem von „The Take“ ist der Form des aktivistischen Dokumentarfilms inhärent: Die Nähe zu den Protagonisten schafft zwar Intimität, ohne die der politische Kampf in Abstraktion und Depression mündete. Sie verhindert aber den Überblick über die größeren Zusammenhänge, deren Opfer die Arbeiter letztlich wurden. In einer symptomatischen Szene zeigen Lewis und Klein, wie eine Delegation von Forja zu einer Traktorfabrik fährt, die als das „Mekka“ der Arbeiterselbstverwaltung gilt (auch deswegen, weil dort schon wieder differenzierte Löhne und eine ausgefeiltere Arbeitsteilung eingeführt wurden). Das Ergebnis des Gesprächs erscheint nicht so sehr als Geschäft denn als Solidarvertrag – man wird Teile zuliefern, die Vernetzung der autonomen Arbeiter geht voran, aber der Preiskampf bleibt vorläufig noch suspendiert. Die schockierende Zahl fällt irgendwann beiläufig: 15.000 Menschen sind in Argentinien heute in diesen Kooperativen beschäftigt. Das ist eine bedeutende Menge vor dem Horizont einer teilnehmenden Beobachtung, aber eine verschwindende in der argentinischen Nationalökonomie.

„The Take“ ist von diesem Neuanfang der Produktion so beeindruckt, dass die Fragen, die unmittelbar daraus resultieren werden, vorerst noch keinen Platz haben: Wo sind die Abnehmer jenseits der Tauschwirtschaft? Woher kommt das Geld für Investitionen? Wer leitet die Forschungsabteilungen? Die Ausdifferenzierung der Ökonomie ist die eigentliche Herausforderung, und es ist nicht ohne Ironie, dass ausgerechnet eine mutmaßliche Globalisierungsexpertin wie Naomi Klein nun einen Film über ein ausgesprochen lokales Phänomen gemacht hat. Sie behauptet dessen globale Relevanz, verwechselt dabei aber wirtschaftliche mit symbolischer Kraft. Die Kooperativen sind ein Hoffnungszeichen für den Ausstieg aus dem Kapitalismus. Ein Raum, in den hinein dieser Ausstieg erfolgen könnte, ist aber nicht in Sicht. Davon legt „The Take“ eher unfreiwillig Zeugnis ab.

„The Take – Die Übernahme“. Regie: Avi Lewis, Naomi Klein. Dokumentarfilm, Argentinien/Kanada 2004, 87 Min.