: Demokratie wächst von unten
In Mecklenburg-Vorpommern ziehen erstmals rechtsextreme Kameradschaftskader in einen Landtag ein. Trotzdem ist es falsch, jetzt wieder nach einem NPD-Verbot zu rufen
Kaum sind die Rechtsextremen in einen weiteren Landtag eingezogen, ist sie schon wieder da: die Forderung nach dem NPD-Verbot, diesmal besonders laut vorgetragen von SPD-Größen wie Peter Struck und Klaus Wowereit. Kein Wunder: Sie rücken den demokratischen Parteien auf die Pelle. Da heißt es eingreifen.
Doch der Verbotsreflex birgt eine bittere Botschaft: Offensichtlich ist es führenden demokratischen Volksvertretern egal, ob und wie militante Neonazis ihre Ideologien streuen. Neonazis dürfen in aller Ruhe Jugendliche indoktrinieren und systematisch Dorfgemeinschaften aufstacheln – solange sie dabei nicht die Einflusssphären der so genannten großen Politik touchieren. Wie sollte man sich sonst erklären, dass rechtsextreme Kameradschaften in Teilen von Mecklenburg-Vorpommern jahrelang ihren Einfluss ausbauen durften, ohne damit in Schwerin oder Berlin nennenswerte Reaktionen zu provozieren?
Sieben Gemeinden sind nun umgekippt: Dort hat erstmals in der Geschichte des Landes eine relative Mehrheit rechtsextrem gewählt. In insgesamt zwanzig Gemeinden lag die NPD bei über 20 Prozent, in drei Gemeinden davon sogar über 30 Prozent. Es sind Dörfer, wo Demokratie- und Parteienverdrossenheit, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit so selbstverständlich am Gartenzaun vorgetragen werden wie die Fußballergebnisse vom Wochenende. Selbst von Wählern, die – bisher – nicht für die Rechtsextremen stimmen.
An der grundgesetzfeindlichen Gesinnung der Neonazi-Kameradschaften hatte der Verfassungsschutz nie einen Zweifel. Ihre Mitglieder nennen sich Nationale Sozialisten statt Nationalsozialisten; für welche Idole sie schwärmen, ist damit offenkundig. Dennoch stellte sich ihrem politischen Durchmarsch in der Provinz in den vergangenen Jahren kaum jemand in den Weg. Im Gegenteil: Besorgte Fachleute wurden bis vor kurzem eher als Hysteriker belächelt.
So ziehen nun erstmals in der bundesrepublikanischen Geschichte zwei Kameradschaftskader in einen Landtag ein, kassieren staatliche Diäten, dürfen ihre Mitglieder auf Kosten des Steuerzahlers mit Referentenpöstchen versorgen. Der Staat leistet damit Aufbauhilfe für militante Neonazigruppen. Das alles kann man entsetzlich finden. Trotzdem ist es nicht nur verlogen, angesichts des Wahlerfolgs der NPD plötzlich nach deren Verbot zu rufen, es ist sogar gefährlich. Denn die Botschaft an die Wähler lautet: Demokratie heißt, der Bürger darf zwar frei wählen. Aber wenn er sich für die Falschen entscheidet, dann wird deren Partei nach der Wahl eben verboten. So verabschiedet man die inzwischen knapp 60.000 NPD-Wähler in Mecklenburg-Vorpommern für immer aus der Demokratie.
Es greift zu kurz, nach der Wahl nur auf die NPD zu starren. Gerade die SPD hätte allen Grund, sich nach den NPD-Rekorden in einigen Dörfern im Nordosten mit ihrer eigenen Rolle zu befassen. 9 Prozent für die SPD, aber 38 Prozent für die NPD in Postlow, 14 Prozent SPD, aber 32 Prozent NPD in Blesewitz – solche Ergebnisse sind kein Zufall. Der Zustand der SPD in diesem Landstrich nährt den Verdacht, die Parteistrategen hätten die Gegend aus ihren Listen gestrichen. Die SPD hat dort ähnlich viele Mitstreiter wie die Neonazis in Kreuzberg. Wenn die SPD-Spitze es ernst meint mit ihrer Sorge um die Demokratie, dann muss sie schleunigst selbst in deren Rettung investieren. Denn die NPD lebt auch von der Schwäche der anderen Parteien.
Falls die Bürger in den neuen NPD-Hochburgen überhaupt wieder für demokratische Parteien zu begeistern sind, so wird dies nur durch mühsame, langwierige Überzeugungsarbeit gelingen. Die Demokraten in den betroffenen Dörfern werden das alleine nicht schaffen. Sie waren schon vor der Wahl überfordert, nun sind sie mancherorts auch noch zu Außenseitern degradiert. Sie brauchen Hilfe – finanzielle, personelle, juristische und strategische. Denn dort, wo die Rechtsextremen sich nun in der Mehrheit wissen, werden sie mehr denn je auftrumpfen.
Ihr Vormarsch in Regionen wie Ostvorpommern oder Uecker-Randow ist nur zu stoppen, wenn die Demokraten sie im Alltagsleben klar ausgrenzen. Davon kann bisher keine Rede sein. In Postlow weigerte sich der Gemeindebürgermeister vor der Landtagswahl, öffentlich gegen die NPD einzutreten. In Bargischow stellt die Gemeinde den Neonazis ein Clubhaus zur Verfügung. Im Schaukasten vor dem Anklamer Gymnasium durfte ein rechtsextremer Dachdecker über Jahre mit einschlägiger Runensymbolik für seine Dienste werben, Rektorat und Kreisverwaltung zuckten mit den Schultern und verwiesen auf die komplizierte Rechtslage. Nur weil der Handwerker zahlungsunfähig wurde, flog seine Plakette kürzlich vom Schul-Vorplatz.
Kommunalpolitiker, Eltern, Lehrer, Schüler, Nachbarn müssen ermuntert werden, sich den Rechtsextremen entgegenzustellen. Sie müssen ihren Parolen widersprechen, ihre Propaganda zerlegen, mit dem NPD-Wähler nebenan das Gespräch suchen und: Zivilcourage zeigen. Sie müssen in den Bargischower Jugendclub gehen und sagen: Jetzt machen wir hier Programm! Sie müssen die Runen-Werbung vor dem Gymnasium abreißen und sagen: Soll der Dachdecker doch klagen! All das werden sich die Bürger nur trauen, wenn sie sich öffentlicher Unterstützung gewiss sein können. Bisher konnten sie das nicht.
Wer den NPD-Anhängern klarmachen will, warum sie die falsche Wahl getroffen haben, muss aber auch Gegenangebote machen. Viele Menschen am Ostrand des Landes fühlen sich von den Parteistrategen in den Hauptstädten vergessen, abgeschrieben. Auch deshalb konnten die Neonazis mit ihrer Graswurzelstrategie in dieser Gegend so punkten. Wer sich in Postlow nach Neonazis erkundigt, hört Geschichten über nette, fleißige Menschen, gute Nachbarn, engagierte junge Leute, von denen das Dorf mehr verdient hätte. An diesem harmlosen Wir-kümmern-uns-Profil werden die Rechtsextremen weiter arbeiten. Das erste NPD-Bürgerbüro mit Hartz-IV-Beratung in Anklam ist bereits angekündigt.
Die Spin Doctors der demokratischen Parteien müssen ihren Blick dringend in die Provinz richten. Dort haben sie das Vertrauen der Menschen verloren, nur dort können sie es wieder gewinnen – aber nicht per NPD-Verbot. Welche Perspektiven haben CDU und SPD für die Bevölkerung jener Regionen, wo seit Jahren eine Alles-wird-schlechter-Stimmung herrscht? Warum bieten die Sozialdemokraten nicht selbst Hartz-IV-Beratung an? Wo bleibt die CDU-Nachbarschaftsinitiative?
Die demokratischen Parteien müssen das Vakuum füllen, in dem sich die Rechtsextremen ausbreiten. Sie müssen den Bürgern signalisieren: Wir interessieren uns für euch und eure Anliegen, wir geben das nicht nur im Wahlkampf vor. Wer nur über die Menschen in den NPD-Hochburgen redet, statt sich ernsthaft mit ihnen auseinanderzusetzen, der bestärkt sie letztlich in ihrer Haltung – und treibt die Demokratie im Nordosten noch tiefer in die Krise. ASTRID GEISLER