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Archiv-Artikel

Der Angriff brachial-infantiler Kunststudenten

ENTERTAINMENT MIT GEWALT Dadaismus oder Sozialkritik? Lust- oder Schmerzgewinn? Bei seinem ersten Konzert überschreitet das Hamburger Künstler-Kollektiv HGich.T konsequent die Grenzen des Geschmacks durch entgrenzte Performance-Art, Mitgröl-Hymnen und psychoanalytische Referenzen

Das ZDF war auch da. Für eine Tour zum ersten Album einer deutschen Band ganz schön viel Aufmerksamkeit. Allerdings handelt es sich bei HGich.T, einer Truppe aus dem Umfeld der Hamburger Kunsthochschule, nicht um irgendeine neue Band, sondern um ein Phänomen, eine Anomalie im Popgeschäft, in dem die Musik in ein Gesamtkonzept aus körperbetonter Performance, brachial-infantilem Humor und Inszenierung im psychedelischen Goa-Stil eingekapselt ist. Ihr Konzert im Berliner Bang Bang Club, mit dem sie ihre Platte „Mein Hobby: Arschloch“ vor dankbarem Publikum präsentierten, machte da keine Ausnahme. Seit ihre Youtube-Videos im Internet mitunter millionenfach angeklickt wurden, gibt es um das Kollektiv, dessen Zahl zwischen zehn und fünfzehn Mitstreitern schwankt, einen veritablen Hype.

HaGeIchTeh, wie sie ihren kaum lesbaren Namen aussprechen, bevorzugen auch in ihren Filmen das Schrille. Ihren Hit „Hauptschuhle“ bebildern sie mit einem hysterischen Schlammtanz auf matschigem Acker, „Tutenchamun“ zeigt den gleichnamigen Tänzer der Band samt Raver-Irokesenfrisur und Signalweste, wie er mit dem Mofa in eine LSD-gerecht ausgemalte Polizeikontrolle gerät.

Auch auf der Bühne bieten sie gern Drastik ohne Rücksicht auf etwaige bürgerliche Empfindlichkeiten. So präsentiert Tänzer Tutenchamun während des Konzerts auch schon mal seinen entblößten Unterleib. Tänzerin Maike malt unterdessen auf eine leere Pizzahülle ein großes Gemächt und versteigert das Kunstwerk am Ende des Auftritts meistbietend.

Man mag in Show und Musik von HGich.T nichts weiter als eine stark idiosynkratische Form von Entertainment sehen, dennoch fällt es schwer, dabei Distanz zu wahren. Hier werden so konsequent Grenzen des Geschmacks und anderer zivilisatorischer Konventionen überschritten, dass es oft weh tut. Die Fantasiewelten, in die man von ihnen gezerrt wird, strotzen nur so vor Psycho-Referenzen wie ödipalen Verstrickungen oder der guten alten analen Phase, wie im sprichwörtlichen Refrain „Mama, ich muss Aa!“

Infantilitäten dieser Art kann man komisch oder ätzend finden, völlig neutral zu bleiben, fällt hingegen schwer. Auf die eine oder andere Weise greift einen der Quatsch dann doch an. In diesem Sinn machen HGich.T auf krude Weise erlebbar, was der Psychoanalytiker Jacques Lacan als „Genießen“ bezeichnet hat: ein Übermaß an Erregung, dessen unkontrollierte Energie weniger für Lust- als für Schmerzempfinden sorgt.

Selbst das Lachen will bei ihnen nie so recht unschuldig-befreit aus dem Hals, sondern wird von leicht verstörter Peinlichkeit begleitet. Wie lustig ist das jetzt gemeint? Ist das überhaupt irgendwie gemeint? Ihre Texte über zugedröhnte Hartz-IV-Empfänger und Trips schmeißende Raver lassen sich einerseits als Sozialkritik bzw. Kritik an bürgerlichen Fantasien über die Unterschicht verstehen, andererseits kann man sie in der Tradition von surrealer, dadaistischer oder Beat-Literatur sehen, in denen sich die Worte relativ autonom gegenüber ihren Bedeutungen verhalten. Sicher sein kann man sich bei ihnen nicht.

Wie man sich den Texten auch nähert, zusammen mit dem gnadenlosen Goa-Trance-Gerüst als Grundierung bilden sie eine Einheit, die den ganzen Körper in Beschlag nimmt, ohne dass man so recht weiß, wie einem geschieht. Irgendwie funktionieren die stotternd programmierten Beats mit den scheinbar ohne jedes Takt- und Melodiegefühl darüber gekrähten Auslassungen des Sängers Anna-Maria Kaiser trotz alledem als Songs, die sich, wie das Berliner Publikum vormachte, bestens mitgrölen lassen.

Dies ist vielleicht das größte Problem mit ihrer Live-Show, denn im Konzertkontext löst sich manche Ambivalenz, die auf der Platte deutlicher spürbar war, in Wohlgefallen auf, die Verstörung weicht allgemeiner Erheiterung, ganz gleich, was für ein Thema da gerade verhandelt wird. Und sieht man dem Sänger Anna-Maria Kaiser dabei zu, wie er, im Unterschied zur bunt-freizügigen Gewandung seiner Kollegen, mit hellem Oberhemd in der Jeans, kurzen Haaren und schmaler silberner Brille in breitem Hamburger Akzent vor sich hin krakeelt, wirkt die Sache gleich um einiges kalkulierter, der Wahnsinn bekommt eine vorhersehbare Methode. Am Ende ist es dann vielleicht nur krasse Unterhaltung. TIM CASPAR BOEHME

HGich.T: „Mein Hobby: Arschloch“ (Tapete)