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Archiv-Artikel

Barrieren und offene Plätze

Die ganze Stadt ein Arbeitsplatz: Die Sonderausstellung „Big City Lab“ bietet dem Art Forum Berlin konzeptionellen Rückhalt und betont die Attraktivität des schwer Verwertbaren. Gerade richtig für eine Stadt, der wirtschaftliche Dynamik schwerfällt

VON MARCUS WOELLER

In Berlin wird sehr wohl gearbeitet! Auch wenn die Veröffentlichungen der Bundesagentur für Arbeit dagegen sprechen und im Rest der Republik die Hauptstadt eher als Hort einer das ganze Jahr faulenzenden Schar von Berufsjugendlichen angesehen wird. Arbeit im urbanen Prekariat sieht eben manchmal anders aus. Die Kunsthistorikerin und Ausstellungsmacherin Friederike Nymphius versteht Berlin so: als ein experimentelles Labor. Hier wird ganz im lateinischen Wortsinn von laborare nicht nur gearbeitet, sondern auch gelitten. Denn es stehen weniger naturwissenschaftliche Experimente auf dem Versuchsplan als soziale und ökonomische, künstlerische und humane. Der gesamte Stadtraum dient als Arbeitsplatz, seine Infrastruktur als Laborausstattung. Mit der Ausstellung „Big City Lab“ zeigt Nymphius einige Versuchsreihen, Experimentierfelder und Forschungsergebnisse aus dem Labor Großstadt.

„Big City Lab“ ist die dritte Sonderausstellung im Rahmen der Kunstmesse Art Forum Berlin, die heute am Messegelände eröffnet. Nachdem Zdenek Felix bei der Premiere 2004 Arbeiten von in Berlin lebenden Künstlern und Künstlerinnen zeigte und im letzten Jahr Susanne Titz auf Werke von Berlin-Stipendiaten des DAAD-Künstlerprogramms zurückgriff, leistet sich das Art Forum nun endlich eine dezidiert kuratierte Ausstellung, welche die Messe nicht nur ergänzt, sondern ihr auch einen konzeptionellen Rückhalt gibt. Nach wie vor galt die Auflage, dass die ausgewählten Künstler von Galerien vertreten werden, die auch zum Art Forum eingeladen wurden.

In einer eigenen Halle (11.2) nehmen an der vom Hauptstadtkulturfonds geförderte Schau rund 40 internationale Künstler teil, die sich mit den städtischen Prozessen auseinandersetzen. Nymphius hat für die nur fünf Tage währende Ausstellung auf 1.800 Quadratmetern einen Parcours entworfen, der an einen 3-D-Stadtplan erinnert. Es gibt lange Sichtachsen, aber auch Barrieren, offene Plätze, enge Gassen und abgeschlossene Räume. Empfangen werden die Besucher von einem minimalistischen Geräuschobjekt von Delia Gonzalez und Gavin Russom, das als großer Synthesizer den Sound der Stadt generiert.

Vom anderen Ende der Halle glühen schon die farbigen Neonröhren einer Installation von Anselm Reyle. Im chaotischen Gewirr verheddern sich die mehr als hundert leuchtenden Linien zu einer filigranen Großskulptur, die ganze vage anklingen lässt, dass Neon einst das Licht der Stadt war. Berta Fischer formt aus lichtsammelndem Plexiglas gleichermaßen komplexe Plastiken. Die in sich gewundenen, transparenten Strukturen strahlen ihre Textmarkerfarbigkeit über scharfe Schnittkanten ab und kommunizieren so mit den Acrylgemälden von Torben Giehler. Deren abstrakte Überlagerungen von Farbfeldern, Gittern und Streifen sind die Resultate eines Bildfindungsprozesses, der von der Stadterfahrung über die Freihandzeichnung, digitale Fotografie und deren Verfremdung seinen Weg auf die Leinwand findet.

Der Fotograf Frank Thiel entdeckt das Abstrakte im Gegenständlichen. Mit der Großbildkamera sucht er die architektonischen Nicht-Orte der Stadt auf. Berlin ist an solchen Orten des Verschwindens reich, seien es die zum Abriss freigegebenen Relikte der DDR-Architektur oder das strukturelle Innenleben von Neubauten, das bald hinter dem Einerlei der in Berlin opportunen Sandsteinfassade verschwinden werden. Thiel setzt die ästhetische Qualität von Destruktion und Konstruktion ins Bild, bleibt dabei aber ein strenger Kritiker der Berliner Baupolitik.

Auch Ryuji Miyamoto fotografiert Häuser. Am Beispiel der inzwischen abgerissenen Kowloon Walled City in Hongkong dokumentierte er 1987 die unglaubliche Auftürmung und Zusammenballung von Wohnraum als ambivalentes Zeugnis des Willens zum Überleben im Slum. Tacita Dean nimmt dagegen das beliebte Touristenmotiv der Dom-Spiegelungen in den Fenstern des Palasts der Republik auf und deutet es um – zu einem melancholischen Abgesang auf das, was in dieser Stadt Bestand hat und was nicht. Ihre Farb-Fotogravüren entstammen einem Film, der letztes Jahr auf der Biennale in Venedig lief.

Der Ausstellung „Big City Lab“ gelingt ein Einblick, woran Großstädte heute laborieren und wie künstlerische Positionen darauf reagieren können. Seit der Wiedervereinigung verarbeitet Berlin hauptsächlich seine Mythen, die der Vergangenheit und der Gegenwart. Dabei weigert sich die Stadt standhaft, eine prosperierende und wirtschaftlich dynamische Metropole zu werden. Ihre Attraktivität liegt eher in ökonomisch schwer verwertbaren Gebieten, erlaubt aber gerade deshalb die Möglichkeit zum Experiment, zur temporären Intervention, zur künstlerischen Tiefenanalyse. Eine Zukunft als Laboratorium für urbane Grundlagenforschung erscheint da doch vielversprechend.

„Big City Lab“, Sonderausstellung des Art Forum Berlin 2006, 30. September–4. Oktober, 12–20 Uhr