: Atomausstieg selbst gemacht
Auch wenn SPD und Union den RWE-Antrag ablehnen wollen, die Laufzeit des AKW Biblis 1 zu verlängern, halten Umweltverbände den Atomkonsens für Geschichte
BERLIN taz ■ Der Atomausstieg ist schnell gemacht: Entscheiden Sie sich, rufen Sie www.atomausstieg-selber-machen.de auf – und mit fünf Klicks haben Sie ein Formular auf dem Bildschirm, mit dem Sie zu einem Ökostromanbieter wechseln können.
„Ja, wir rufen zum Boykott auf“, erklärt Stefan Schurig. „Wir müssen die Atomkonzerne an der Kasse treffen. Das ist die einzige Sprache, die sie verstehen.“ Schurig ist Greenpeace-Bereichsleiter Klima und Energie. Gemeinsam mit Vertretern von acht weiteren Verbänden stellte er gestern „die Antwort auf die Aufkündigung des Atomkonsenses“ vor: Die Menschen in Deutschland müssen „sich von den Atomkonzernen trennen und den Ausstieg aus der Gesellschaft heraus vollziehen“. Die Initiative kam, kaum 48 Stunden nachdem RWE-Power beim Bundesumweltministerium beantragt hatte, die Laufzeit für Biblis A bis 2011 zu verlängern.
Das AKW ist seit 32 Jahren am Netz und soll im Rahmen des Atomkonsenses im Juni 2008 abgeschaltet werden. Es hat kein unabhängiges Notstandssystem und ist weder gegen Flugzeugabstürze noch gegen Erdbeben, wie sie im Umkreis von 200 Kilometern vorkommen könnten, genügend gesichert . Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) lehnt die Verlängerung ab, will den Antrag aber „nach Recht und Gesetz prüfen“. Dabei geht er davon aus, dass die Energiekonzerne die große Koalition „nutzen wollen, um den Atomkonsens aus ihrer Sicht kreativ fortzuschreiben“. Die Union ist für längere Laufzeiten, will den von Rot-Grün 2000 mit der Atomindustrie besiegelten Konsens jedoch „nicht über den besonders alten Reaktor Biblis A“ in Frage stellen. Ex-Umweltminister Jürgen Trittin (Grüne) warf RWE „Erpressung“ vor.
Trotz dieses politischen Votums sind die Umweltschützer aufgeschreckt, wenn auch „nicht überrascht“. Rainer Baake, Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, sagte, die anderen Energiekonzerne beabsichtigten ebenfalls, ihre AKWs länger laufen zu lassen. Konkret nannte er EnBW mit dem AKW Neckarwestheim 1, Vattenfall und Eon mit Brunsbüttel und wiederum RWE mit Biblis B. Jürgen Sattari, Vorstandssprecher von Robin Wood, erwartet, dass „die nächsten Schritte auf dem Energiegipfel verkündet werden“, zu dem Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) für den 9. Oktober geladen hat. „Die private Entscheidung der Verbraucher, auf Ökostrom umzusteigen, wäre deshalb ein starkes politisches Signal.“
Auf der Webseite finden sich vier Ökostromunternehmen, die laut Greenpeace-Experte Schurig „auf jeden Fall besser sind als die Monopolisten und manchmal auch billiger“. Entscheidend für die Auswahl sei gewesen, dass sie unabhängig von den Atomkonzernen sind, einen Strommix mit einem mindestens hälftigen Anteil von erneuerbaren Energie haben und bundesweit anbieten. BEATE WILLMS