LESERINNENBRIEFE
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Hemmungslos Realitäten verdreht

■ betr.: „Bewaffnete Zungen“, von Ilija Trojanow, taz vom 13. 10. 10

Große Erleichterung machte sich breit während der Lektüre von Ilija Trojanows Text zu Thea Dorns Thesen in der Zeit, die den erfolgreichen Bürokraten und Karrieremann Sarrazin zu einem mutigen Helden unserer Zeit stilisiert und auch den Vergleich mit Martin Luther nicht scheut. Hier wurden in der Tat hemmungslos Realitäten verdreht und ab und zu kriegt man Angst vor so viel Aggressivität und Blödheit. Als Frauenrechtlerin kann ich nur hoffen, dass Thea Dorn vor lauter Begeisterung über sich selbst und Wichtigtuerei in der Öffentlichkeit einen black out hatte. Wer schreiben kann, sollte nicht die Versäumnisse verleugnen bei dem jahrzehntelangen Weg Deutschlands hin zu einem Einwanderungsland. Thea Dorn sollte sich den klugen Text von Ilija Trojanow einprägen – von wegen „verlogener Kuschelsound“, wie sie ihn bei den „Gutmenschen“ beklagt. GISELA WÜLFFING

Antiaufklärerische Ressentiments

■ betr.: „Bewaffnete Zungen“, „Mesut Özil ist deutsch, ich bin es nicht“ (Kübra Yücel), taz vom 13. 10. 10

Kübra Yücel und Ilija Trojanow gebührt ein herzliches Dankeschön für ihre klaren Worte zur gegenwärtigen Integrationsdebatte.

Die Epoche der Aufklärung verfolgte bekanntlich das Ziel, den Menschen die Angst zu nehmen. Insofern sind die Ressentiments, die Sarrazin und seine Anhänger verbreiten, im höchsten Maße anti-aufklärerisch. Was sich die Mehrheit der Medien – zum Teil in unverhohlener, mitunter aber auch in uneingestandener Gefolgschaft Sarrazins – gegenwärtig erlaubt, ist nicht nur unzweifelhaft rassistisch, es torpediert vor allem jedwede Möglichkeit der Integration. Die Besinnung aufs Deutschtum (und auf Deutsche, die da angeblich von – „natürlich“ islamischen – Migranten ausgegrenzt werden) ist da nur die Spitze des Eisbergs.

Wir leben in einer Zeit, in der wieder einmal eine Religion zum Sündenbock für gesellschaftliche Missstände herhalten muss. Von dort aus bis zum Rückfall in die Barbarei ist es nicht weit. Integration wird es indes nur geben können auf der Grundlage von Respekt und Wertschätzung; Respekt und Wertschätzung auch gegenüber der Weltanschauung jener Menschen, die integriert werden sollen.

CHRISTOPH LEISTEN, Würselen

Die Ärmel hochkrempeln

■ betr.: „Hassobjekt Muslim“, taz vom 14. 10. 10

Wenn, wie die Bildunterschrift ausführt, „58,4 Prozent aller Befragten finden, dass dem Islam in Deutschland Grenzen gesetzt werden müssen“, haben wir es nicht mit Hass zu tun, es sei denn Ihr wollt ihn schüren. Die Konservativen betrachten die Einwanderung aus rein wirtschaftlicher Sicht. Übel, aber wenigstens nicht verlogen. Die progressiven Kräfte fokussieren einseitig auf die Vorteile der kulturellen Vielfalt und bezeichnen die, die nicht privilegiert oder weltfremd genug sind, um diese ebenso zu idealisieren, als Muslimhasser. Damit kommen wir zu diesem Thema, bei dem wir alle die Ärmel hochkrempeln und uns unseren eigenen Ressentiments stellen müssen, nicht weiter. Ich finde übrigens, dass nicht nur dem Islam, sondern auch dem Christentum mehr Grenzen gesetzt werden müssten. KLAUS DIETZE, Schwelm

Alarmierende Zahlen

■ betr.: „Deutschland, stillgestanden!“, taz vom 14. 10. 10

Die Aussagen, dass mehr als 10 % einen Führer wollen und die Diktatur für die beste Regierungsform halten, haben mich sehr verwundert und ein wenig schockiert. Obwohl ich nicht glaube, dass dies die Meinung der Allgemeinheit widerspiegelt, finde ich diese Zahlen alarmierend. Gegen Extremismus aller Art und jeder Form sollte jeder etwas tun. Die Extremisten bekommen immer wieder Aufmerksamkeit und sprechen mit ihren auf den ersten Blick einfachen Forderungen ein breites Publikum an. Doch die meisten dieser Forderungen sind komplett realitätsfern. Man sollte daher die Menschen aufklären, damit sie dem Extremismus nicht in die Falle gehen.

JULIAN KOHLHAAS, Schüler am Albert-Schweitzer-Gymnasium, Gernsbach

Erbärmliches Schauspiel

■ betr.: „Popanz Multikulti“, taz vom 18. 10. 10

Wie recht Daniel Bax mit seiner Beurteilung von Merkels bzw. Seehofers Vorstoß hat, lässt sich ganz einfach prüfen, wenn man folgende Fragen stellt: Was genau ist eigentlich „Multi-kulti“? Und welcher halbwegs bekannte Politiker vertritt denn dieses wie immer geartete Konzept? Ich glaube nicht, dass die Genannten darauf eine vernünftige Antwort geben können. Es geht nur um das publikumswirksame Eindreschen auf zuvor kunstvoll aufgebaute Pappkameraden. Was für ein erbärmliches Schauspiel! HERBERT GUTZER, Burgrieden