piwik no script img

Archiv-Artikel

„Ein Riesen-Zukunftsmarkt“

NATURSCHUTZ Aus vielen Tier- und Pflanzenarten ließen sich Medikamente und Rohstoffe gewinnen, sagt Jörg-Andreas Krüger vom Nabu. Konferenz soll mehr Geld mobilisieren

Jörg-Andreas Krüger

■ Der 42-Jährige leitet den Fachbereich Naturschutz und Umweltpolitik beim Naturschutzbund Deutschland (Nabu). Der Umweltverband hat 420.000 Mitglieder.

INTERVIEW JOST MAURIN

taz: Herr Krüger, bei der UN-Naturschutzkonferenz in Japan fordern Umweltschützer wieder einmal zig Milliarden Euro, um möglichst viele Tier- und Pflanzenarten zu erhalten. Warum halten Sie solche kostspieligen Investitionen für nötig?

Jörg-Andreas Krüger: Erst einmal gibt es einen ethischen Aspekt: Welches Recht haben wir Menschen, andere Arten zu vernichten, indem wir deren Lebensräume zerstören? Außerdem liegt eine große Artenvielfalt auch in unserem Interesse, denn biologische Vielfalt bedeutet ja auch genetische Vielfalt. Wir greifen immer mehr auf genetische Ressourcen zurück, um etwa Rohstoffe zu nutzen und Medikamente oder Nahrungsmittel zu entwickeln. Mithilfe eines Gifts zum Beispiel, das ein Insekt gegen Fressfeinde einsetzt, könnten vielleicht Medikamente hergestellt werden. Das ist ein Riesenzukunftsmarkt.

Aber die Wahrscheinlichkeit, dass wir jede Art benötigen, ist bei der Masse der Arten doch sehr gering, oder?

Wir werden sicherlich nicht jede einzelne Art brauchen, um bestimmte Grundstoffe herzustellen. Doch das Überleben von Arten, die wir noch direkt nutzen können, hängt davon ab, dass es diese andere Art gibt, für die wir vielleicht keine Verwendung haben. Zum Beispiel als Futter für die direkt nutzbare Art. Ökosysteme sind eng vernetzt – da kann man nicht einfach Arten ausfallen lassen.

Aber wäre es dann nicht billiger, von jeder Art ein paar Exemplare in Genbanken, Zoos oder in wenigen Schutzgebieten zu erhalten?

Viele Arten kennen wir noch gar nicht, weshalb wir sie auch nicht etwa in Genbanken konservieren könnten. Außerdem würde das verhindern, dass sich die Arten im Wege der Evolution weiterentwickeln, sich zum Beispiel an den Klimawandel anpassen. In einem botanischen Garten oder einem Labor werden die Pflanzen ja in der Regel nur mit wenigen Exemplaren erhalten. Die natürliche genetische Variabilität dagegen ist viel größer.

Konkret geht es zum Beispiel um Käfer im indonesischen Urwald. Eine Nutzung für die Medizin scheint im Moment ausgeschlossen. Sollten wir auch diese Art schützen?

Warnung vor Artensterben: UN-Konferenz zur Biodiversität eröffnet

■  Das Artensterben: Der Erde droht nach Ansicht von Wissenschaftlern derzeit das größte Artensterben seit der Ausrottung der Dinosaurier. Laut Weltnaturschutzorganisation gilt ein Drittel der untersuchten 52.000 Arten als gefährdet. Insgesamt sind von geschätzten 10 bis 20 Millionen Arten erst 2 Millionen entdeckt.

■  Die Konferenz: Rund 8.000 Delegierte aus 193 Ländern tagen seit Montag im japanischen Nagoya, um im Rahmen der Vereinten Nationen über einen besseren Schutz für Arten und Lebensräume zu beraten. Im Mittelpunkt der zwölftägigen Konferenz steht neben Wald- und Meeresschutz ein Abkommen gegen Biopiraterie.

■  Die Eröffnung: Zum Auftakt der Konferenz warnte der Chef des Umweltbundesamtes, Jochen Flasbarth, eindringlich vor weiterem Artenverlust. Bisher habe die „Weltgemeinschaft versagt, ihr Ziel zu erreichen“. Seit der letzten Konferenz im Jahr 2008 in Bonn hatte Deutschland die Biodiversitätskonvention geleitet.

Ja, weil diese Käfer das Ökosystem Regenwald stabilisieren, auf das wir Menschen angewiesen sind, etwa als Kohlendioxidspeicher. Zudem liefert er vor allem der örtlichen Bevölkerung Nahrungsmittel und Rohstoffe. Ein anderes Beispiel für den Wert intakter Ökosysteme sind die Korallenriffe und Mangrovenwälder, die viele Inseln in Südostasien vor Überflutungen schützen. Wenn diese Ökosysteme nicht mehr da sind, müssen sie einen komplett neuen Küstenschutz aufbauen, der noch teurer wird.

Artenvielfalt schafft auch Probleme. In Deutschland breitet sich der Wolf wieder aus, und prompt klagen Schäfer, dass er ihre Tiere reiße. Können wir darauf nicht verzichten?

Wir brauchen den Wolf im Ökosystem. Er ist der natürliche Top-Beutegreifer in Mitteleuropa. So trägt er dazu bei, viele Probleme im Wald zu lösen. Der Wolf jagt beispielsweise Reh und Rotwild, die in vielen Regionen so massenhaft vorhanden sind, dass sich der Wald nur noch schwer verjüngen kann. Schließlich fressen sie die jungen Triebe der Bäume. Und die Schafrisse durch den Wolf reduzieren sich ganz schnell, wenn man die Schafe nachts hinter genügend hohen Zäunen oder wie früher gemeinsam mit Hütehunden hält.