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Archiv-Artikel

Ruhiger Abend in Neumünster

Rund 250 Neonazis feiern das zehnjährige Bestehen des Szene-Treffpunkts „Club 88“. Die örtliche Polizei stören weder Hitlergruß noch „Sieg-Heil“-Rufe, dafür betrachtet sie anwesende Pressevertreter als Provokation

Gefreut haben dürften die Beschenkten sich darüber nicht: Eine dreistöckige Tortenattrappe mit einer „88“ als Spitze stellten am Sonnabend Schüler vor dem Rathaus in Neumünster ab. „Wir wollen der Stadt zum zehnjährigen Bestehen des ‚Club 88‘ gratulieren“, erklärte eine Schülerin. Ein Mitschüler forderte, der Stadtpräsident solle aufhören zu behaupten, dass man kein Naziproblem habe. „Warum wird der Club heruntergeredet?“

Am Nachmittag protestierten rund 200 Jugendliche gegen den Neonazi-Treffpunkt. Ein geplanter „Markt der Möglichkeiten“ musste ausfallen: „Wegen der Kritik am Verhalten der Stadt“, so eine Sprecherin der Demonstranten zur taz. Ohnehin soll seit längerem zwischen Stadtrat und den Initiativen Uneinigkeit darüber herrschen, wie gegen den Club vorgegangen werden soll. Eine Folge der offiziellen Zurückhaltung: Die Szene wächst. Robert Habeck vom Landesvorstand der Grünen bewertet den „88“ längst „als einen zentralen Kristallisierungspunkt für die Skinhead- und Neonaziszene“.

Am Abend dann kam an dem von Christiane Dolscheid geführten Club die Szene zusammen. Zehn Jahre, da wollten alle mitfeiern, auch die Hamburger Kader Alexander Hohensee und Jan Steffen Holthusen. Vor der Tür Menschen mit Bier in Plastikbechern. Im Hinterhof war ein Partyzelt aufgebaut. Rechtsrock dröhnte über die Straße. Kontrollen führte die Polizei nicht durch. Auch als Neonazis kistenweise CDs ins Gebäude trugen, wurde nicht eingeschritten.

Berichterstattende Journalisten dagegen kontrollierte die Polizei, auch wenn ihr Kommen mit dem Polizeisprecher abgesprochen worden war. Vor Ort erklärte ein Polizeiführer, die Anwesenheit der Presse könnte eine Provokation darstellen, und drohte „Platzverweise“ an. Dazu kam es nicht, dafür verfolgten Zivilfahnder die Pressevertreter dann auf dem Nachhauseweg.

Als später Journalisten des NDR erneut filmten, hielten die Beamten sich noch immer zurück. „Als wir mit dem Polizeiführer beim Club standen, zeigte ein Rechter den Hitler-Gruß“, sagt einer der Journalisten. Der Beamte „sah es auch, schritt aber nicht ein“. Auch als Rechte aus dem Wagen heraus den „deutschen Gruß“ zeigten und „Sieg Heil“ gröhlten, geschah nichts. „Der Abend war ruhig“, erklärte noch gestern die Einsatzleitung. Zu den Vorfällen oder auch nur der Teilnehmerzahl äußerte die Polizei sich nicht. Das örtliche „Bündnis gegen rechts“ spricht von 250 feiernden Neonazis. ANDREAS SPEIT