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Archiv-Artikel

Die Hallenflüsterer

KUNST & RAUM Der Schuppen 1 am Europahafen ist ein gigantisches Ausstellungsgebäude. Wer die dort installierte Gemeinschaftsschau internationaler Künstler mit Studierenden der HfK bislang verpasst hat, muss heute dringend zur Finissage kommen

Ausgebreitet liegt das Leben der Frau Richter auf mehreren Tischen. Sie war Hafenwachdienstmitarbeiterin

Von HENNING BLEYL

Stellt man sich so den passenden Ort für einen Goldrausch vor? Eine riesige leere Halle mit neun Meter hohen Wänden, die dort steht, wo der Europahafen noch nicht schick ist: Das ist der Schuppen 1. Die schadhaften Stellen im nackten Estrich sind notdürftig mit Kies verfüllt, in Richtung Hafenbecken stehen Pfützen. Ein ideales Umfeld zumindest für „Klondike River“, wie die Bremer Hochschule für Künste (HfK) und die Gruppe „Treasure Land“ ihr Ausstellungsprojekt nennen – in Anlehnung an den Nugget-haltigen Fluss in Nordamerika.

Seit Ostern sollten in dem Bauwerk aus den späten 50ern eigentlich lauter Borgwards stehen, Bauunternehmer Klaus Hornung plant ein privates Oldtimer-Museum. Zuvor allerdings ist ein gewisser Sanierungsstau zu beheben, der auf 12 bis 15 Millionen Euro beziffert wird. Dass dieser Stau noch besteht, gehört zum Reiz der derzeitigen Ausstellung.

Wie sonst dürfte sich „Z. Schmidt“, wie sich eine 31-jährige HfK-Studierende nennt, mit einem schweren Hammer durch die Zwischenwände des früheren Südfrüchtelagers arbeiten? Hindernis um Hindernis wird von der eher zierlichen Studentin aus dem Weg geräumt, der verspätete Besucher ist per Video dabei. Wobei es sich nicht um eine x-beliebige Dokumentation handelt, sondern um eine derart geschickt in die Wand eingefügte Projektion, dass man von weitem meint, Z. Schmidt sei noch am Werk.

Den Kniff mit der Medialisierung des eigenen Tuns, die zugleich eine Verstetigung darstellt, scheint unter den HfK-Angehörigen schwer en vogue zu ein. Der Norweger Daniel Paida Larsen hat sich bei einem Rundgang durch die Überseestadt filmen lassen, an einer quer durch die 50 Meter tiefe Halle gespannten Leinwand kann man nun seinen mehrfach überlebensgroßen Spuren folgen. Tim Reinecke hat diese Idee um eine akustische Komponente erweitert: Er transformierte den Homepage-Sound der Wirtschaftsförderung Bremen (WFB), mit der die WFB potentielle Kunden auf ihre Investitionsangebote in der Überseestadt einstimmt, in eine Endlosschlaufe – und beschallte damit das real zu verhökernde Gebiet. Der Film von der Fahrt im Van mit den extra großen Boxen ist ein echter Schall-Schocker.

Ein zweites Grundmotiv vieler studentischer Arbeiten, kuratiert von den HfK-Professoren Andree Korpys und Markus Löffler, ist die Einladung. Gekaufte Akteure wie Motorradfahrer, eine Stelzenläuferin oder ein Body Builder performen in der Halle und um sie herum, was Judith Rau beispielsweise als anti-kommerzielles Statement versteht: „Ihre“ Stelzenläuferin, die unter dem Titel „Flair“ durch die Halle spaziert, stehe für den Irrglauben, mit importierten Kulturdienstleistungen ehemalige Hafenbrachen aufwerten zu können – siehe Duckstein-Festival.

Die ambivalenteste Arbeit stammt von Andreas Bernhardt. Sie basiert auf einem Zufallsfund: Auf dem Flohmarkt ergatterte Bernhardt einen Karton, in dem sich offenbar der gesamte Dokumenten-Nachlass einer Frau namens Gertrude Richter befand, zu Lebzeiten beim Hafenwachdienst tätig. Er habe vergeblich nach Angehörigen recherchiert, sagt Bernhardt, jetzt liegt das Leben der Frau Richter auf mehreren Tischen ausgebreitet vor den Betrachtern. Rentenbescheide, private Fotos, ärztliche Blutbild-Auswertungen, Konfirmationsurkunden, die Pachtüberweisung an den Kleingartenverein. Eine gelungene Gratwanderung zum Thema Authentizität – oder ein böser Fauxpas in Sachen Pietät und Datenschutz? Bernhardt sieht seine Arbeit auch als Reaktion auf die aktuelle Facebook-Manie, auf den digitalen Exhibitionismus der Internet-Netzwerke. Und verweist auf seinen „künstlerischen Aneignungsprozess“: Auf vorgefundenen Blankokarten fingiert Bernhardt Nachrichten an Frau Richter: Ihre damalige Wachdienstchefin beschreibt „1963“ eine „Vision“ für das Hafenareal: „Im Sommer 2010 entsteht hier ein Ort für vielfältige kulturelle und kommerzielle Nutzungen“. Der Text ist ein unfreiwilliger Beitrag wiederum der WFB.

Keine Frage: Die vorgegebene Aufgabenstellung – eine Auseinandersetzung mit der Überseestadt – ist vielfältig und konsequent umgesetzt worden, ebenso die Interaktion mit dem konkreten Ort. Zwar kann die obere Etage des Schuppen 1, eine gigantische Mansarden-Architektur, in der Wohn- und Bürolofts entstehen sollen, derzeit nicht betreten werden – der Boden weist so manches Loch auf. Für Künstler ist diese Situation freilich ein gefundenes Fressen: Malte Schweiger hat einen dieser Deckendurchlässe zu einer Sanduhr umgebaut: Beständig rieseln und rinnen die Körnchen in die untere Etage, wo sich ein streng geometrisch geformter Kegel aufbaut. Gelegentlich allerdings versiegt der Strom: Da das Projekt-Budget nur für klebrigen Baumarktsand langte, verstopft sich die Öffnung ab und an. Anders gesagt: Die Rhythmisierung des künstlerischen Prozesses folgt den Regeln der Materialität.

Mit Klondike River hat sich die HfK nicht nur ein gutes Stück Überseestadt erobert, sondern auch wichtige Vernetzungsknoten geknüpft, insbesondere mit „altgedienten“ Bremer Kuratoren wie Horst Griese sowie Achim Bitter von „Treasure Land“. Letztere haben auch für internationalen Input gesorgt: Neben den HfK-Studierenden stellen etliche eingeladene KünstlerInnen von Auswärts aus. Der Rotterdamer Arnold Schalks beispielsweise hat gesaugt. Immerhin auf 6.212 Quadratmeter Fläche, rund zwei Dritteln der von den Künstlern bespielten Hälfte des Schuppen 1. Dann goss er die Umrisse des Gebäudes maßstabsgerecht in Beton, füllte diesen mit dem mühsam gesammelten Staub, der durch einen eingebetteten Schlauch ab und an angewirbelt wird. Dazu erklingt das aufgenommene Sauggeräusch – rückwärts abgespielt. Irgendwann wird der Staub wieder im Raum verteilt sein, ein Kreis sich schließen. Bis die Oldtimer kommen.

Um 19 Uhr ist am heutigen Samstag ein „performatives Possenspiel in sechs Akten“ von Matteo Rubbi und Isa Griese zu sehen: „Auf der Suche nach dem Schuppen-Nugget“. Die Ausstellung schließt um 22 Uhr. Zugang: Schuppen 1 am Europahafen, Eingang Konsul-Smidt-Straße, Bremen. Der Eintritt ist frei. Weitere Informationen: www.klondike-river.de